Mit ihm hat man doch einstmals genau dasselbe gemacht, Gefängnis inklusive.
Leute, Demokratie, bzw. das was man sich darunter vorstellt, gibt es nicht, nicht in der BRD und nicht in der Türkei. Kapiert das endlich.
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Die Anklage, die gegen Erdogan erhoben wurde, kommt einem Akt der Willkür gleich. Bei einer Großveranstaltung vor begeistertem Publikum hatte er ein Poem des Dichters Ziya Gökalp zitiert, der beim Zerfall des Osmanischen Reiches als republikanischer Chefideologe Atatürks auftrat und trotz kurdischer Abstammung einen glühenden türkischen Nationalismus vertrat. Zu jener Zeit der Bedrohung durch griechische, italienische, französische und britische Besatzungstruppen stützten sich die nationale Staatsgründung und der Abwehrkampf gegen die christlichen Okkupanten zwangsläufig auf das im Volk verwurzelte Glaubensgut des kämpferischen Islam, und so hatte Ziya Gökalp geschrieben: »Unsere Minaretts sind unsere Lanzen, unsere Kuppeln sind unsere Helme, unsere Moscheen sind unsere Kasernen, unsere Gläubigen sind unsere Armee.« Eben dieses Zitat hatte Erdogan aufgegriffen, und schon erhob der Staatsanwalt der Republik Anklage gegen den erfolgreichen und beliebten Bürgermeister von Istanbul. Er bezichtigte ihn der Mißachtung der laizistischen Verfassung.
Peter Scholl-Latour: „Allahs Schatten über Atatürk“, 1999
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Im übrigen besteht hier die Chance einer politischen Katharsis, einer pragmatischen Interpretation des islamischen Staatskonzepts, das der kluge Vorsitzende der neuen muslimischen Partei AKP, der ehemalige Bürgermeister von Istanbul, Tayyep Recep Erdogan, konkretisieren könnte. Erdogan, den ich persönlich schätzengelernt habe, hat sich in der Bosporus-Metropole glänzend bewährt, ist alles andere als ein engstirniger Fundamentalist, verfügt vielleicht über den unentbehrlichen Realitätssinn, um eine Zeitenwende auf den Weg zu bringen, von der die gesamte islamische Umma profitieren würde.
Aber während ich diese Zeile schreibe, erfahre ich, daß Erdogan, vermutlich weil die öffentliche Zustimmung für seine Person sich zur breiten Volksströmung erweiterte, durch pseudojuristische Tricks aus dem offiziellen politischen Wettbewerb verbannt wurde.
Peter Scholl-Latour: „Kampf dem Terror – Kampf dem Islam?“, 2004