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  • asn1

27 Beiträge seit 04.10.2018

Interpretation der IGH-Anordnung

Ich habe den Artikel mit großem Interesse gelesen. Ich sehe den Vorwurf seitens Südafrika und das begonnene Verfahren am IGH ebenfalls kritisch und mit Sorge. Noch versuche ich persönlich für mich, ein paar positive Aspekte zu erkennen. Und so hatte ich gerade darauf gehofft, dass es innerhalb der israelischen Gesellschaft die Seite stärkt, die die Demokratie im Land, das Streben nach einer friedlichen Perspektive im Nahen Osten stärken möchten. Der Druck könnte helfen, rechten, nationalistischen und extremen Positionen entgegenzuetreten. Insofern hat der IGH zunächst v.a. das Recht auf Selbstverteidigung anerkannt und eben nicht das Beenden der Kampfhandlungen gefordert. Im Gegenzug wird aber gemahnt und gefordert, alles zu tun, damit es nicht zu einem Genozid kommt. Natürlich kann man das allein bzw. die Annahme des Falls durch den IGH bereits kritisieren, aber ich bin der festen Überzeugung, dass am Ende des Prozesses der Genozid-Vorwurf nicht haltbar ist. Regelbasierte Ordnung heißt eben auch, die Institution IGH anzuerkennen und darauf zu vertrauen, dass sachlich argumentiert und entschieden wird. Ich erkenne insofern viele Argumente, die für Israel sprechen: die Ziele und das Vorgehen sind maximal transparent, es wird in diesem unsäglichen Dilemma viel versucht, das Völkerrecht einzuhalten etc. Jeder Krieg bringt grauenhafte Seiten mit. Nicht alle Beteiligten handeln in jeder Situation regelkonform, nicht alle Politiker bleiben in Interviews angesichts der Geschehnisse sachlich. Am Ende zählt das intendierte und umgesetzte Regierungshandeln für eine Bewertung vor Gericht. Dazu sollte jede Gelegenheit genutzt werden. Und bei guter Prozessführung und hoffentlich auch der Nutzung des Instruments der Nebenintervention (z.B. durch Deutschland) würde es die Gelegenheit bieten, das Kalkül der Kläger (wie Südafrika) ans Licht zu bringen und die absurde Logik der anvisierten Täter-Opfer-Umkehr zu offenbaren. -- Nach dem 2. Weltkrieg gab es in Deutschland eine sehr lange Phase der "Entnazifizierung". Auch damals waren natürlich nicht alle Deutschen Nazis und Täter. Aber es gab und gibt in der Gesellschaft immer eine gemeinsame Verantwortung und das galt m.E. für Deutsche damals ebenso wie heute für die Bevölkerung im Gaza-Streifen, die palästinensische Gesellschaft. Was hat damals der Einzelne in Deutschland getan, als nebenan die Juden deportiert wurden und der Krieg vorbereitet wurde? Was hat der friedliche Palästinenser getan, als Raketenstellungen und unterirdische Kriegsinfrastruktur mitten in zivilen Gebieten errichtet wurden? Und in vielen, vielen Jahren nach 1945 wurde leider bei weitem nicht alles an faschistischer Ideologie beseitigt, aber immerhin ein Großteil und aus dem faschistischen ist ein demokratisches Deutschland geworden. Ich will hier keinesfalls 1:1 vergleichen, aber die Entradikalisierung im Nahen Osten ist ein entscheidender Baustein auf dem Weg zum Frieden. Und hierzu braucht es "starke Alliierte", ein Bündnis aller Willigen in der westlichen wie in der arabischen Welt, die die erschreckend schnell voranschreitende Radikalisierung und Militarisierung stoppen und dabei konsequent die Zivilgesellschaft stärken. Eine Alternative gibt es nicht. Und so hoffe ich auf ein salomonisches Urteil beim IGH und das Abrücken von extremen Positionen auf allen Seiten.

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