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  • Irwisch

mehr als 1000 Beiträge seit 22.03.2005

Bewaffnet euch, ich fühle mich bedroht

Wer sich selbst auf einen übergroßen Sockel stellt und dann auch noch fest daran glaubt, der Größte zu sein, der wird sich höchstwahrscheinlich von allem bedroht fühlen, was seinem Rang, seiner eingebildete Größe, Höhe, Stärke usw. und vor allem den davon abgeleiteten Ansprüchen gefährlich werden könnte. Ohne weiteres kann man da von Größenwahn sprechen: Man wähnt sich größer, stärker, mächtiger, (einfluß-) reicher, als man in Wirklichkeit ist. Davon, ob die Vasallen der USA deren Wahn teilen, hängt es letztendlich ab, ob sie der USA weiterhin so tief hinten rein kriechen, bis nur noch der Stiefelabsatz zu sehen ist (und bei manchen nicht einmal das).

Die Maske: Narzißmus, Größenwahn, »Selbst«-Bezogenheit

Bekanntlich leben wir in einer sehr stark narzißtisch orientieren Gesellschaft, was angesichts der Resultate traditioneller Erziehung zu Gehorsam und Unterwürfigkeit nicht weiter verwundern sollte. Wer die Methoden kennt, mit denen seit tausenden von Jahren Menschen zu Befehlsempfängern in streng hierarchisch strukturieren Gesellschaften abgerichtet werden, der weiß, wovon ich hier schreibe: Vom Effekt bzw. Resultat der Unterdrückung biologisch angelegter Entwicklungtendenzen. Säuglinge und Kleinkinder können es sich nicht leisten, die Zuwendung der Mutter bzw. der Eltern zu riskieren, wenn diese ersten und wichtigsten Bezugspersonen im Leben eines Menschen nicht empathisch genug sind, um die Bedürfnisse ihres Kindes, die über materielle Versorgung hinausgehen, wahrzunehmen. Kinder, die fühlen, daß sie so, wie sie sind, nicht von ihren Eltern angenommen werden, treten quasi ihren Unterdrückern bei. Sie unterdrücken die von den Eltern unerwünschten Selbstanteile und spalten sie letztlich von ihren erwünschten Selbstanteilen – jenen Anteilen, die sie bewußt wahrnehmen dürfen – ab, obwohl das Selbst doch eigentlich eine Ganzheit sein sollte. Derart fragmentierte Menschen entwickeln ein Ersatzselbst (das Introjekt), das nicht auf ihren eigenen Bedürfnissen beruht, sondern vielmehr auf den Bedürfnissen der Gesellschaft, anfangs repräsentiert durch Vater und Mutter als den Agenten gesellschaftlicher Forderungen.

Die abgespaltenen Selbstanteile führen im fragmentierten – der Mehrheit der heute in modernen Industrienationen lebenden – Menschen ein Eigenleben: ausgeschlossen vom Bewußtsein, gefangen im »Keller« der Psyche, bewacht von den einstigen Todesängsten der Säuglings- und der Kleinkind-Phase. Diese große Mehrheit ist auf feste, autoritäre äußere Strukturen – die strengen Hierarchien unserer Gesellschaften – angewiesen, um überhaupt einigermaßen funktionieren zu können. Brechen diese Strukturen weg, fühlen sich die allermeisten Menschen so desorientiert und hilflos wie damals als Kind.

Weil das Ersatz-Selbst – das anstelle des natürlichen Selbst quasi erfunden werden muß – nicht auf der natürlichen Grundlage biologisch angelegter Strukturen basiert, sondern auf den künstlichen Strukturen der Gesellschaft, wirken die daraus hervorgehenden Affekte meist ebenso künstlich, erlernt, übertrieben, aufgesetzt und daher unangemessen. Beim Versuch, gesellschaftlich erwarteten Reaktionen zu entsprechen, wird deshalb immer auf die eine oder andere Weise über- oder untertrieben; das rechte Maß fehlt, weil man keinen Kontakt zu den Ursachen dieser Reaktionsmuster hat, denn diese Reaktionen stammen nicht wirklich aus dem Selbst, sondern aus dem Ersatz-Selbst, der Persönlichkeit.

Nicht überraschen sollte daher die Feststellung, das der Begriff Person von Persona stammt; das war die Bezeichnung für die Maske, die die Schauspieler im klassischen Theater trugen und mittels derer sie einen klaren Hinweis auf den Figurentypus gaben. Bei Schauspielern werden als »Maske« oder »Charaktermaske« auch Kunstfiguren bezeichnet, die symbolische Eigenständigkeit gewinnen und manchmal die Persönlichkeit des Schauspielers überlagern oder gar verdrängen. Carl Gustav Jung übertrug den Begriff der Persona in die Tiefenpsychologie und bezeichnete damit denjenigen Teil des Ichs, der für ein normatives, sozialverträgliches Verhalten des Individuums gegenüber seiner Umwelt sorgt. Heute weiß man, wie dieses Ersatzselbst entsteht und warum daraus notwendigerweise narzißtische Menschen hervorgehen.

Der Narzißmus ist im Grunde der verzweifelte Versuch einer Selbstliebe und -akzeptanz, die niemals gelingen kann, so lange wichtige Selbstanteile abgespalten bleiben. Gerade weil dem Narzißten die Verbindung zur Ganzheit seines Selbst fehlt, kann er nie genug an Ersatz bekommen. Das Substitut zur Selbstakzeptanz heißt Fremdakzeptanz: Narzißten suchen ihr Leben so einzurichten, daß ihnen ein regelmäßigr Strom von Anerkennung ihrer Mitmenschen zufließt. Gelingt das nicht, werden sie zu quasi »negativen« Narzißten; im Gegensatz zu Größen-Narzißten werden sie zu Narzißten im Kleinen, indem sie darauf bestehen, hilflos, ohnmächtig und damit hilfebedürftig zu sein.

Das dem Narzißmus zugrunde liegende Minderwertigkeitsempfinden wird insoweit nach außen verlagert, indem man andere für die eigene Situation verantwortlich macht: Ich bin hilflos, weil »ihr« mir nicht helft, weil »ihr« mir kein Geld, keinen Job gebt, weil »ihr« mich ausgrenzt, ablehnt usw. Dabei ist zu beobachten, daß diejenigen, die am meisten zu verlieren haben, am lautesten jammern: »Wir brauchen niedrigere Löhne, weil wir sonst nicht mehr rentabel produzierne können.« Nicht die armen Schlucker und Habenichtse, die von Hartz-IV oder Armutsrente leben müssen, machen am meisten auf sich und ihre »Notsituation« aufmerksam, sondern vielmehr die Reichen und Superreichen, die es als selbstverständlich zu betrachten gelernt haben, materiell und finanziell über den meisten anderen zu stehen, und die sich sofort herabgesetzt fühlen, wenn ihre Profite oder auch nur ihre Profiterwartungen sinken oder auch nur sinken könnten. Mit TTIP drücken diese Kreise genau diese Ängste aus.

Narzißmus, der nichts mit wirklicher Selbstliebe und -akzeptanz zu tun hat, ist die Voraussetzung für Nationalismus: »Wenn ich schon selbst nichts Großartiges bin, wenn ich mich schon als minderwertig betrachten muß, weil die meisten anderen immer irgendwie besser sind, dann bin ich wenigstens Teil von etwas Großem, meinem Vaterland, dem ich dienen darf.«

Machtstreben

An der politischen Macht beteiligte Menschen in welchem Land auch immer haben normalerweise keinen Kontakt mehr zu gewöhnlichen Menschen mit ihren bekannten Alltagsproblemen und -situationen. Für diese selbsternannte Elite – die ich besser als Politmafia bezeichne, die von der Finanzmafia geleitet wird – sind die gewöhnlichen Menschen, die für ihr Geld mehr oder weniger hart arbeiten müssen, nichts weiter als Melkkühe, Wahlvieh und/oder Schlafschafe, die man für den eigenen Profit ausbeutet.

Die im vorigen Absatz erwähnte Finanzmafia ist für den gewöhnlichen Menschen – für das Wahlvieh, für all die Melkkühe und Schlafschafe – kaum noch personell sichbar. Sicher, wir kennen da ein paar Namen wie Rockefeller oder BlackRock, aber wir kennen kaum die Menschen, die dahinterstehen, die den weiteren Raubbau an Mensch und Natur konkret vorantreiben. Gegen mächtige Institutionen läßt sich kaum vorgehen, sie entziehen sich der Verantwortung wie auch jeder Gerichtsbarkeit durch Anonymität und Globalität. Ausgewählte »Bauernopfer« wie das des kürzlich geselbstmordeten Milliardärs und Kinderschänders Epstein zählen nicht, der war sowieso nur ein Handlanger.

Die auch vom Narzißten – wenn auch unbewußt – empfunde Minderwertigkeit, die aus der frühen Abspaltung wichtiger Selbstanteile resultiert, zwingt ihn dazu, diese schmerzhafte Lücke zu füllen. Er füllt sie, wie oben beschrieben, mit einem Ersatz-Selbst, der erlernten und einstudierten Persönlichkeit. In dieser Ersatz-Struktur fehlt meistens ein wichtiger Faktor: die echte Empathiefähigkeit, die in der Regel von der Simulation gesellschaftlich geforderten Mitgefühls ersetzt wird.

Empathie mit den Menschen, denen man täglich begegnet, reduziert die Angst vor Fremden: Man erfühlt gleichermaßen die anderen, indem man sich spontan in sie hineinversetzt, und muß deshalb nicht vor jedem Menschen Angst haben – Angst davor, ausgeraubt, bedroht, verletzt und betrogen zu werden. Hat man diese Fähigkeit nicht, muß man quasi vor jedem, den man nicht kontrollieren kann, Angst haben. So entsteht das Machtbedürfnis: ein starkes, von Angst getragenes Bedürfnis, andere zu kontrollieren, zu überwachen und zu beherrschen. Kontroll- und Machtbedürfnisse sind daher immer Ausdruck uneingestandener Ängste.

Hat man diese und viele weitere Zusammenhänge erst einmal erkannt und bestätigt, erscheint es einem etwas unsinnig, noch immer von Nationen zu reden, die angeblich gegeneinander agieren. Diese Szenerie ist nichts anderes als ein Schauspiel für all jene, die noch immer daran glauben, daß die Wahl der »richtigen« politischen Partei die »Lösung« bringen wird.

Sprache

Die menschliche Sprache ist ein Werkzeug der Verständigung wie auch der Konstruktion von Wirklichkeit. Sprache ist aber auch ein Code, der unter anderem sehr subitl die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Klasse (oder: die Stufe der Hierarchie, auf der der Sprechende sich befindet) transportiert. Bevor die modernen Medien – in erster Linie Radio und Fernsehen, davor Printmedien – flächendeckend eingeführt wurden, haben die meisten Menschen ihre Sprache regelmäßig dazu benutzt, miteinander zu reden, um sich auszutauschen und um gesellschaftlichen Konsens herzustellen oder auch in Frage zu stellen. Das Verhältnis zwischen Sprechen und Zuhören war somit einigermaßen ausgeglichen, zumindest im alltäglichen Umgang zwischen Gleichgestellten. Das Reden miteinander verfolgte immer auch den Zweck, selbstgemachte Erfahrungen untereinander auszutauschen.

Heute erscheint es mir vollkommen anders zu sein: Die Leute hören weitaus mehr zu, als daß sie selber sprechen. Die Familienmitglieder, die allabendlich vor dem Fernseher sitzen, reden nicht mehr miteinander, das Programm wird stillschweigend genossen oder absolviert, höchstens mal unterbrochen vom einen oder anderen Ausruf, dem aber sofort ein »psssst!« folgt. Die allermeiste freie Zeit, über die Menschen heute verfügen, wird mit Medienkonsum verschwendet – Zeit, die ihnen dann fehlt, um z.B. mit ihren Kindern zu reden oder mit dem Lebenspartner.

Daraus folgt, daß nicht mehr die konkreten, empirischen Lebenserfahrungen den Alltag der Menschen bestimmen, sondern das, was ihnen über die Medien zufließt. Medien-Informationen sind aber keine echten, sondern vermittelte Erfahrungen. Man erfährt nicht die Wirkung eines Geschehens oder einer Szene am eigenen Leib, sondern läßt – meist recht unkritisch – Schilderungen von Geschehnissen in die eigene Landkarte eintragen. Dort, auf der eigenen inneren Landkarte, werden diese Fremdeinträge vom Gehirn dann aber so behandelt, als wären sie echte Erfahrungen. Mit anderen Worten: Der moderne Mensch, der sich nach seiner Landkarte im Kopf richtet, unterscheidet in seiner Wirklichkeitskonzeption nicht zwischen eigenen Erfahrungen und von Fremden eingetragenen Berichten über Geschehnisse, die häufig nicht einmal dieser fremde Unbekannte direkt erfahren hat. Es sind in Wirklichkeit aber Berichte über Berichte über Berichte ...

Durch die Massenflut an Fremdeinträgen auf unserer symbolischen Landkarte sind wir, auch wenn wir uns bestens informiert fühlen, eigentlich desinformiert und damit weitgehend orientierunslos. Wir orientieren uns genau deswegen an Menschen und Institutionen, denen wir aus welchen Gründen auch immer vertrauen. Vertrauen aber ist nach Niklas Luhmann »ein Mechanismus der Reduktion sozialer Komplexität«, wie er in seinem gleichnamigen Buch nachweist. Oft handelt es sich nämlich um blindes Vertrauen: Wir wissen nicht, ob die Person oder Institution, der wir vertrauen, dieses Vertrauen nicht enttäuschen wird – bis sie es dann tut, und auch dann noch lassen viele Menschen nicht davon ab, diesem Subjekt oder Objekt weiterhin ihr Vertrauen zu schenken, wie man an den noch immer recht hohen Zahlen der Konsumenten von Massenmedien, allen voran das Fernsehen, beobachten kann.

Luhmann informiert uns auch über den Unterschied zwischen Vertrauen und Hoffnung: »Ein Fall von Vertrauen liegt nur dann vor, wenn die vertrauensvolle Erwartung bei einer Entscheidung den Ausschlag gibt – andernfalls handelt es sich um eine bloße Hoffnung.« Aus den USA stammt eine Studie, die belegt, daß eine große Zahl von Babysittern, die abends die Kinder von Eltern betreuen, die ausgehen wollen, in den Schubladen und Schränken der Familie herumstöbern, nachdem sie die Kinder ins Bett gebracht haben. Belegt hatte man damals diese Vorfälle mit heimlich installierten Kameras. Das heißt, so lange die Kinder sich nicht über den Babysitter beschweren, glauben die Eltern, ihm vertrauen zu können. Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß.

So kommt es, daß noch immer viele Menschen, obwohl die Liste der skandalösen Vorfälle immer länger wird, den gewählten Volksvertretern vertrauen, ihrer Tageszeitung vertrauen und auch ihren Vorgesetzten, Eltern, Kollegen usw. ihr Vertrauen schenken. Sie sehen nur das Vordergründige, erkennen aber nicht, wo sie wirklich sind, in was für einer Gesellschaft sie bzw. wir alle tatsächlich leben. Ehrlichkeit, Aufrichtigkeit, Empathievermögen, Vertrauensseligkeit sind Eigenschaften, die das wirtschaftliche und gesellschaftliche Emporkommen nicht fördern, sondern im Gegenteil schwer behindern. Wer seinen Mitmenschen ehrlich und vertrauensvoll begegnet, wird gewöhnlich ausgenutzt, denn diese Fähigkeiten werden gemeinhin als Schwäche wahrgenommen, eine Schwäche, die dann häufig als Einladung zum Übervorteilen gesehen wird. Das ist zwischen Menschen und Menschengruppen genau so zu beobachten wie zwischen Institutionen und Staaten. Dahinter stehen aber immer Menschen, die ein Urteil fällen, das sollte man nicht vergessen, auch wenn diese Menschen anonym sind.

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