Ich halte ja auch das neuerliche Kippen der früheren bundesweiten Gesetzgebung zum Schwangerschaftsabbruch (Roe-vs-Wade) durch den Supreme Court für in der sachlichen Konsequenz falsch und gesellschaftlich schädlich. Allerdings:
Das Urteil zum Abtreibungsverbot hat geltendes Recht gekippt.
Das hat es tatsächlich… allerdings eben untergeordnetes Recht: Und zwar gerade mit der Begründung, dass das früher bundesweit bzgl Schwangerschaftsabbruch geltende Recht… welches im übrigen (was hier teil des Problems ist) eben nicht legislativ gegeben war, sondern nur durch frühere Rechtssprechung des Supreme Court, gegen höheres Recht (in diesem Falle sogar: die Verfassung) verstoßen würde. Mit anderen Worten: aus Sicht der heutigen SCOTUS wurde durch das neuerliche Kippen des früheren SCOTUS-Urteils durchaus gerade das geltende Verfassungsrecht durchgesetzt gegen dagegen verstoßende untergeordnete Rechtssprechung.
Unabhängig davon, ob man nun persönlich dieser mehrheitlichen verfassungsrechtlichen Auslegung der heutigen Besetzung des Supreme Court zustimmt oder der im Gegensatz dazu stehenden mehrheitlichen Auslegung der früheren Besetzung des Supreme Court zu Zeiten von Roe-vs-Wade (ich persönlich tendiere jedenfalls in der sachlichen Konsequenz - also mal unabhängig von Fragen der Zuständigkeit, die hier das Problem war - definitiv zu letzterem), so ist doch festzustellen, dass jedenfalls aus Sicht der (heutigen) Supreme Court die neuerliche Entscheidung eben durchaus genau die Durchsetzung des geltenden und verfassungsmäßig festgelegten Rechts ist.
Letztlich ging es hier auch nicht um Fragen zu den rechtsphilosophischen Grundsätzen bzgl des Schwangerschaftsabbruchs, sondern vielmehr um Fragen der Zuständigkeit für die Rechtsgebung dazu.
Im übrigen - und so sehr auch ich wie gesagt dieses neuere Urteil für (in der sachlichen Konsequenz, also unabhängig von der Frage der Zuständigkeit) falsch halte - erscheint die Projektion, bei einem Urteil von stark christlich-konservativ und/oder Tradcon- geprägten alten Leuten zu einem Thema wie Schwangerschaftsabbruch das Motiv ausgerechnet zwanghaft in einer Verschwörung mit der "Fossilindustrie" suchen zu wollen, doch für arg VT-haft überzogen und abstrus.
Frei nach Hanlon's razor ("never attribute to malice that which is adequately explained by stupidity") würde ich als klassische Subkategorie davon auch in diesem Fall sagen: Never ascribe to far-fetched conspiracy theories (e.g. the Supreme court conspiring with the "fossile industry") that which is adequately explained by common religious / tradcon bigotry.
https://en.wikipedia.org/wiki/Tradcon
https://en.wikipedia.org/wiki/Hanlon%27s_razor
Das Posting wurde vom Benutzer editiert (11.07.2022 00:42).