Denn unter den mit konstruktiven Elementen arbeitenden Ansätzen gibt es sowohl im Bereich des Marxismus als auch der Kritischen Theorie und ihrer Vorläufer bzw. Nachfolger eine Reihe von Positionen (zu denen ich auch meine eigene zähle), die um ein Philosophieren bemüht sind, das sich konsequent als Selbstreflexion von Handelnden begreift und daher keinen in einer Meta-Welt angesiedelten Meta-Beobachter bemühen muss.
Auch wenn mir etwas schleierhaft erscheint, was hier mit "konstruktive Elemente" gemeint sein soll, nehme ich mal diese Selbstverortung von Czasny zum Anlass, die Frage aufzuwerfen, ob er dann nicht auch noch irgendwas vom Entfremdungsbegriff relevant finden müsste, wie ihn Marx in den frühen 1840ern entwickelte, siehe http://www.mlwerke.de/me/me40/me40_510.htm, und in seinem Spätwerk zum Fetischbegriff fortentwickelte.
Falls ja, hätte diese Passage nun wirklich anders formuliert werden müssen:
Diese Komplikation ist aber nur ein Folgeproblem des eigentlichen Denkfehlers. Und der besteht darin, dass hier das Verhältnis des Menschen (bzw. des Philosophen) zu seiner Welt als ein Zuschauen und nicht als ein Handeln charakterisiert wird. Während sich nämlich der Zuschauer prinzipiell (immer) in Distanz zu dem von ihm angeschauten Objekt befindet, sind wir Handelnden beim Gelingen unseres Tuns eins mit unserem jeweils 'behandelten' Gegenüber und erleben uns bloß im Fall des Scheiterns unserer Bemühungen als von ihm getrennt.
Eine schlichte Einheit mit unseren Handlungen ist im Kapitalismus insbesondere dann nicht gegeben, wenn diese Handlungen gemessen an den systemischen Erfordernissen gelingen, nicht erst in irgendeinem offenkundigen Scheitern. Diese konstitutive Zerrissenheit von Selbstkonzepten und Handlungserfolgen scheint mir so sehr eines der Leitmotive der alten kritischen Theorie, dass ich's verwirrend finde, dass sie im Text schlicht vergessen zu sein scheint.
Adornos ausgiebige Heidegger-Kritiken enthalten z. B. diese knappe Formel aus den späten 1960ern:
So wenig aber wie die Pole Subjekt und Objekt läßt Vermittlung sich hypostasieren; sie gilt einzig in deren Konstellation. Vermittlung ist vermittelt durchs Vermittelte. Heidegger überspannt sie zu einer gleichsam ungegenständlichen Objektivität. Er besiedelt ein imaginäres Zwischenreich zwischen dem Stumpfsinn der facta bruta und dem weltanschaulichen Geschwafel.
(Adorno, Negative Dialektik, erster Absatz vom zweiten Abschnitt "Sein und Existenz", Seite gerade nicht zur Hand)
Mir scheint nach dem Artikel nicht, dass Gabriel überhaupt irgendeine würdige Theorie aufstellen würde, die der Kritik verlohnte. Nicht ganz uninteressant finde ich aber, dass sowohl seine Ausgangsproblemstellung als auch das Gipfeln in "Sinnfelder" eine zwar nur sehr entstellte, aber doch erkennbare Ähnlichkeit zu Adornos Negativer Dialektik hat, die auf positivismuskritische Konstellation und Konfiguration in der jeweils interessierenden mikrologischen Konkretion als Rettung der Metaphysik in ihrem Sturz geht, siehe z. B. den allerletzten Absatz in ihr (Seite gerade nicht zur Hand):
Zu fragen ist, ob Metaphysik, als Wissen vom Absoluten, überhaupt möglich sei ohne die Konstruktion absoluten Wissens, jenen Idealismus, der dem letzten Kapitel der Hegelschen Phänomenologie den Titel leiht. Sagt nicht, wer vom Absoluten handelt, notwendig, es sei das denkende Organ, das dessen mächtig sei, eben dadurch selbst das Absolute; verginge andererseits Dialektik, im Übergang zu einer Metaphysik, die nicht einfach der Dialektik gliche, sich nicht gegen ihren strengen Begriff von Negativität? Dialektik, Inbegriff negativen Wissens, möchte kein anderes neben sich haben; noch als negative schleppt sie das Gebot der Ausschließlichkeit aus der positiven, dem System, mit sich fort. Sie hätte nach solchem Raisonnement nichtdialektisches Bewußtsein zu negieren als endlich und fehlbar. In ihren sämtlichen historischen Gestalten hat sie verwehrt, aus ihr herauszutreten. Sie vermittelte, mag sie es wollen oder nicht, begrifflich zwischen dem unbedingten und dem endlichen Geist; das machte die Theologie intermittierend stets wieder zu ihrem Feind. Obwohl sie das Absolute denkt, bleibt es, als von ihr Vermitteltes, dem bedingten Denken hörig. War das Hegelsche Absolute Säkularisation der Gottheit, so eben doch deren Säkularisation; als Totalität des Geistes blieb jenes Absolute gekettet an ihr endlich menschliches Modell. Tastet aber der Gedanke, im ungeschmälerten Bewußtsein dessen, derart über sich hinaus, daß er das Andere ein ihm schlechthin Inkommensurables nennt, das er doch denkt, so findet er nirgends Schutz als in der dogmatischen Tradition. Denken ist in solchem Gedanken zu seinem Gehalt fremd, unversöhnt, und findet sich aufs neue zu zweierlei Wahrheit verurteilt, die mit der Idee des Wahren unvereinbar wäre. Metaphysik hängt daran, ob ohne Erschleichung aus dieser Aporie hinauszugelangen ist. Dazu muß Dialektik, in eins Abdruck des universalen Verblendungszusammenhangs und dessen Kritik, in einer letzten Bewegung sich noch gegen sich selbst kehren. Die Kritik an allem Partikularen, das sich absolut setzt, ist die am Schatten von Absolutheit über ihr selbst, daran, daß auch sie, entgegen ihrem Zug, im Medium des Begriffs verbleiben muß. Sie zerstört den Identitätsanspruch, indem sie ihn prüfend honoriert. Darum reicht sie nur so weit wie dieser. Er prägt ihr als Zauberkreis den Schein absoluten Wissens auf. An ihrer Selbstreflexion ist es, ihn zu tilgen, eben darin Negation der Negation, welche nicht in Position übergeht. Dialektik ist das Selbstbewußtsein des objektiven Verblendungszusammenhangs, nicht bereits diesem entronnen. Aus ihm von innen her auszubrechen, ist objektiv ihr Ziel. Die Kraft zum Ausbruch wächst ihr aus dem Immanenzzusammenhang zu; auf sie wäre, noch einmal, Hegels Diktum anzuwenden, Dialektik absorbiere die Kraft des Gegners, wende sie gegen ihn; nicht nur im dialektisch Einzelnen sondern am Ende im Ganzen. Sie faßt mit den Mitteln von Logik deren Zwangscharakter, hoffend, daß er weiche. Denn jener Zwang ist selber der mythische Schein, die erzwungene Identität. Das Absolute jedoch, wie es der Metaphysik vorschwebt, wäre das Nichtidentische, das erst hervorträte, nachdem der Identitätszwang zerging. Ohne Identitätsthese ist Dialektik nicht das Ganze; dann aber auch keine Kardinalsünde, sie in einem dialektischen Schritt zu verlassen. Es liegt in der Bestimmung negativer Dialektik, daß sie sich nicht bei sich beruhigt, als wäre sie total; das ist ihre Gestalt von Hoffnung. Kant hat in der Lehre vom transzendenten Ding an sich jenseits der Identifikationsmechanismen davon etwas aufgezeichnet. So stringent die Kritik an jener Lehre durch seine Nachfolger, so sehr verstärkten sie den Bann, regressiv gleich dem nachrevolutionären Bürgertum insgesamt: sie hypostasierten den Zwang selbst als Absolutes. Freilich hat Kant seinerseits, in der Bestimmung des Dinges an sich als des intelligibeln Wesens, Transzendenz zwar als Nichtidentisches konzipiert, aber mit dem absoluten Subjekt gleichgesetzt, vorm Identitätsprinzip doch noch sich gebeugt. Der Erkenntnisprozeß, der dem transzendenten Ding asymptotisch sich annähern soll, schiebt es gleichsam vor sich her und entfernt es von dem Bewußtsein. Die Identifizierungen des Absoluten transponieren es auf den Menschen, von dem das Identitätsprinzip herstammt; sie sind, wie sie zuweilen eingestehen und wie Aufklärung jedesmal schlagend ihnen vorhalten kann, Anthropomorphismen. Deshalb verflüchtigt sich das Absolute, dem der Geist sich nähert, vor ihm: seine Näherung ist Spiegelung. Die gelungene Eliminierung eines jeglichen Anthropomorphismus jedoch, mit welchem der Verblendungszusammenhang beseitigt sei, koinzidiert am Ende wahrscheinlich mit diesem, der absoluten Identität. Das Geheimnis durch Identifikation verleugnen, dadurch, daß man stets mehr Brocken ihm entreißt, löst es nicht. Eher straft es, als wenn es spielte, die Naturbeherrschung Lügen durchs Memento der Ohnmacht ihrer Macht. Aufklärung läßt vom metaphysischen Wahrheitsgehalt so gut wie nichts übrig, nach einer neueren musikalischen Vortragsbezeichnung presque rien. Das Zurückweichende wird immer kleiner, so wie Goethe in der ein Äußerstes nennenden Parabel des Kästchens der Neuen Melusine es darstellte; immer unscheinbarer; das ist der erkenntniskritische wie der geschichtsphilosophische Grund dafür, daß Metaphysik in die Mikrologie einwandert. Diese ist Ort der Metaphysik als Zuflucht vor der Totale. Kein Absolutes ist anders auszudrücken als in Stoffen und Kategorien der Immanenz, während doch weder diese in ihrer Bedingtheit noch ihr totaler Inbegriff zu vergotten ist. Metaphysik ist, dem eigenen Begriff nach, möglich nicht als ein deduktiver Zusammenhang von Urteilen über Seiendes. Genausowenig kann sie nach dem Muster eines absolut Verschiedenen gedacht werden, das furchtbar des Denkens spottete. Danach wäre sie möglich allein als lesbare Konstellation von Seiendem. Von diesem empfinge sie den Stoff, ohne den sie nicht wäre, verklärte aber nicht das Dasein ihrer Elemente, sondern brächte sie zu einer Konfiguration, in der die Elemente zur Schrift zusammentreten. Dazu muß sie sich auf das Wünschen verstehen. Daß der Wunsch ein schlechter Vater des Gedankens sei, ist seit Xenophanes eine der Generalthesen der europäischen Aufklärung, und sie gilt ungemildert noch gegenüber den ontologischen Restaurationsversuchen. Aber Denken, selber ein Verhalten, enthält das Bedürfnis – zunächst die Lebensnot – in sich. Aus dem Bedürfnis wird gedacht, auch, wo das wishful thinking verworfen ist. Der Motor des Bedürfnisses ist der der Anstrengung, die Denken als Tun involviert. Gegenstand von Kritik ist darum nicht das Bedürfnis im Denken sondern das Verhältnis zwischen beiden. Das Bedürfnis im Denken will aber, daß gedacht werde. Es verlangt seine Negation durchs Denken, muß im Denken verschwinden, wenn es real sich befriedigen soll, und in dieser Negation überdauert es, vertritt in der innersten Zelle des Gedankens, was nicht seinesgleichen ist. Die kleinsten innerweltlichen Züge hätten Relevanz fürs Absolute, denn der mikrologische Blick zertrümmert die Schalen des nach dem Maß des subsumierenden Oberbegriffs hilflos Vereinzelten und sprengt seine Identität, den Trug, es wäre bloß Exemplar. Solches Denken ist solidarisch mit Metaphysik im Augenblick ihres Sturzes.
Kommt, wenn wir denn schon die alte Möhre Philosophie nicht lassen können wollen, können wir dann nicht wenigstens endlich erst einmal den Positivismusstreit zu Ende ausfechten - anstatt so zu tun, als wäre die After-Nach-Hinter-Postmoderne gut für irgendwas?