Habermas debattiert besonnener als Schwarzer/Wagenknecht. Bei den letzteren kann ich gar keine Bedenken hinsichtlich des völkischen Imperialismus Russlands erkennen, was ja die offizielle Grundlage für den russischen Angriffskrieg darstellt, siehe Kriegserklärung, Forderungskatalog für den Frieden, pausenlose russische Debatten, wie das russische Imperium gestaltet werden soll und welche kriegerischen Maßnahmen dafür nötig seien.
Habermas argumentiert mit seinen Sorgen hinsichtlich der möglichen Entwicklung dieses Krieges, wobei er den völkischen Imperialismus des Putin-Regimes nicht leugnet, der ja letztlich identisch mit dem Slogan des Borg-Imperiums von Star-Trek ist: "Wir werden euch assimilieren, Widerstand ist zwecklos". Dass dadurch gewisse Leute getriggert werden, aggressiv auf seine Bedenken zu reagieren, ist nicht ungewöhnlich. Mir, und ich hoffe auch Habermas, treibt das nicht den Blutdruck nach oben, weil wir mit solchen Beiträgen zu rechnen haben. Ich halte jedoch die Habermas-Debatte grundsätzlich und mittelfristig für sinnvoll, um das kritische Bewusstsein hinsichtlich der Kriegsrisiken aufrecht zu erhalten. Es ist doch schräg, wenn erwartet wird, dass dem völkische Imperialsmus durch solche Debatten kurzfristig Einhalt geboten wird. Was nutzt ein Appeasement-Frieden, wenn er nur kurz anhält, weil das putinsche Borg-Imperium seinen totalitären Blutrausch nicht kontrollieren will? Ich denke, es geht Habermas eher um einen mittelfristigen Einfluss: nämlich dass es ein Bewusstsein dafür geben muss, was die Risiken sind, welche auch die Grenzen des Krieges bestimmen. Das geht über das reine Entsetzen der Kriegsgräuel hinaus. Es zielt ab auf die Einhegung von Kriegszielen, die auf eine grundsätzliche Schwächung durch eine Niederlage Russlands hinauslaufen. So lese ich Habermas, so schätze ich den Einfluss, den er mittelfristig auf den Diskurs und das Bewusstsein haben wird.
Wer allerdings nur in der Kategorie des Besserwissens unterwegs ist, wer alle Diskurspartner, welche nicht der Meinung sind, dass sich durch Appeasement der Fratze des völkischen Imperialismus, die sich von russischer Diskursseite unzweideutig zeigt, fürs eigene Standing und für die Solidarität der europäischen Staaten etwas notwendiges entgegengestellt werden kann, als Kriegstreiber:innen bezeichnet, dessen Friedensabsicht erscheint doch sehr zweifelhaft.
Es mag ja durchaus zutreffend sein, dass in den letzten Jahrzehnten eine Menge Fehler im Umgang mit Russland gemacht worden sind. Diese Fehler entschuldigen aber übhaupt nicht Moskaus völkischen Imperialismus. Auch die Forderung an Moskau, von seinem völkischen Imperialismus abzusehen, im 21. Jahrhundert anzukommen, bedeutet keine Bedrohung des russischen Staats oder seiner Bewohner. Umgekehrt bedeutet völkischer Imperialismus eine direkte Bedrohung Europas und seiner Bewohner. Jeder Friedensappell muss diese Prämisse berücksichtigen. Schwarzer/Wagenknecht tun das in meinen Augen nicht. Habermas wohl.