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  • auf_der_hut

mehr als 1000 Beiträge seit 07.05.2008

Re: Der Krieg ist kein Ereignis,

Der russische Traum von einem Jalta 2.0, wo sich die Großmächte, zu denen Sowjetrussland damals auch erstmals gehörte, sich über Landkarten beugen und ihre Einflusssphären abstecken, wobei Russland sich seine Gewinne absegnen lässt, er wird unerfüllt bleiben. Eine Rückabwicklung des Prozesses, der zum russischen Bedeutungsverlust der letzten 30 Jahre und zum Aufstieg der NATO zum gesamteuropäischen Bündnis geführt hat, den wird es nicht geben, egal wie der Ukrainekrieg ausgeht. Die Ukraine säße dabei nicht mit am Tisch und müsste außer der Zerstörung ihres Landes auch noch ihre Entrechtung als Verlierer akzeptieren. Vermutlich würde der Ukraine auch wahrheitswidrig die Schuld an dem Krieg zugeschoben, weil es bei so einer "Lösung" ein gemeinsame Interesse des Westens und Russland daran gäbe.

Für den Westen wäre so eine Konferenz eine einzige Demütigung und deshalb wird sie auch niemals stattfinden. Der Westen wird höchstens seine Unterstützung einstellen, aber er wird nicht mit Russland über die Ukraine verhandeln. Der Krieg wird einfach aufhören, weil die Ukraine keine Mittel mehr hat, um Widerstand zu leisten, der Westen wird das achselzuckend hinnehmen und zur Tagesordnung übergehen. Trotzdem wird Russland in der Ukraine international über den Status einer Besatzungsmacht nicht hinauskommen. Das Fass, Annexionen wieder salonfähig zu machen will niemand aufmachen, auch China nicht, das diesen Begriff im Zusammenhang mit Tibet und Hongkong immer vermeidet.

Für die Ukraine sind das extrem düstere Aussichten, denn Russland wird (wie wir es aus der DDR kennen) eine "Russland first" -Politik fahren, die zwischen Ausbeutung und Wiederaufbau schwankt, der deshalb wahrscheinlich Jahrzehnte dauern oder gar nicht stattfinden wird, von ein paar potemkinschen Vorzeigeprojekten abgesehen. Ohne Schließung der Grenze wird die Perspektivlosigkeit zu einer Abwanderungswelle führen. Denn schuld an dem Krieg ist aus russischer Sicht ja die Ukraine und dafür wird der Kreml sie zahlen lassen, so wie das mit Deutschland nach 45 auch versucht wurde, indem man Kriegsgefangene zur Zwangsarbeit heranzog und Industrieanlagen demontierte.

Alle denkbaren Resultate so einer Veranstaltung wären negativ. Es wäre eine mit der deutschen Teilung vergleichbare Aufspaltung der Ukraine entlang einer Systemgrenze. Die Referenden, die diesen Zustand dann vermutlich absegnen sollen, werden das sein, was alle Abstimmungen unter russischer Kontrolle schon immer waren: reine Verwaltungsakte, wo den Bevölkerung keine Wahl bleibt. Oder hat der Kreml schon jemals so eine Abstimmung verloren?

Im Unterschied zur deutschen Teilung bringt Russland hier auch noch eine ziemlich widerwärtige ethnische Komponente ins Spiel. Auf ihrer Seite der Grenze soll es dann nur noch Russen geben, die Ukrainer in ihrem Herrschaftsbereich müssten ihre Identität, Sprache und Kultur aufgeben oder abwandern, wenn man sie denn lässt. Die Deutschen durften wenigstens Deutsche bleiben.

Es würde eine Situation ähnlich der im Baltikum unter sowjetischer Herrschaft entstehen, ein defacto Regime, das international juristisch nie anerkannt wird. Viele Ukrainer werden sich irgendwie arrangieren, aber der Traum von einer geeinten und zu Europa gehörenden Ukraine wird weiterleben. Nirgendwo ist heute die Entschlossenheit Russland die Stirn zu bieten stärker als in den baltischen Ländern, nirgendwo ist der Hass auf die Russen größer. Wollen die Russen wirklich zusätzlich zu den 4,5 Millionen Balten (25% Russen dort schon abgezogen) von 35 Millionen Ukrainern gehasst werden? Wiederholt Russland nicht gerade die fatalen Fehler der Sowjetunion, in der Hoffnung sein Imperium dieses mal mit noch mehr Repression (keine Möglichkeit zum Austritt) zusammenhalten zu können ? Die Unabhängigkeitserklärung der baltischen Staaten, löste 1990 die Auflösung der Sowjetunion aus.

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