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  • Guckstu

mehr als 1000 Beiträge seit 18.03.2024

Was erzählt der Hacke da?

der russische Vormarsch sei bisher weder durch Waffen noch durch die Wirtschaftssanktionen des Westens gestoppt worden.

Doch, wurde er.
Die Ukraine hat den Vormarsch der Russen gestoppt, solange sie mit ausreichend Munition beliefert wurde.
Erst seit die Munition knapp wird, kommt Russland wieder voran.

Was ihn beunruhige, so Hacke, sei "dass diejenigen, die für Verhandlungen sind und diese fordern, doch heftig angegangen werden. Das finde ich nicht besonders glücklich". Der Meinungskorridor in der Bundesrepublik sei "relativ schmal".

Der Meinungskorridor für Verhandlungen um jeden Preis ist schmal.
Das wäre Appeasement, und das ist vor 90 Jahren schon mal krachend gescheitert.

Verhandlungen nicht um jeden Preis sind von Putin bisher immer abgelehnt worden.
Er hat als Voraussetzung bloß für die Aufnahme von Verhandlungen gesagt, er will die internationale Anerkennung der russischen Gebietsansprüche in Krim und Donbas.

findet wichtig, dass in Kriegszeiten "der Ruf nach Frieden und nach Verhandlungen nicht disqualifiziert werden darf. Egal, wie man dazu steht".

Und wieder blendet er aus, dass momentan bei Verhandlungen nur ein Appeasement herauskommen kann.
Sowas wirkt einfach unehrlich, und wenn die Verhandlungsbefürworter so weitermachen, beschädigen sie das Ansehen der Verhandlungslösungen derart, dass man gar nicht mehr verhandeln will, selbst wenn Putin mal seine Voraussetzungen ändern sollte.

Dann einerseits:

Kritik weniger prominenter Historiker an der SPD hält Hacke, ein langjähriges CDU-Mitglied, für falsch: "Auch Historiker können irren." Es handle sich um bloße Meinungsbilder, keiner habe die Wahrheit und die Gerechtigkeit gepachtet – "hier ist viel Selbstgerechtigkeit im Spiel".

Andererseits:

großen Respekt vor dem SPD-Fraktionsvorsitzenden Rolf Mützenich und seiner Forderung, über ein "Einfrieren des Krieges" und Verhandlungen nachzudenken

Und alles ohne zu erläutern, welche Voraussetzungen er annimmt oder warum er dieser Meinung ist.
Der Mann scheint mir da selbst Selbstgerechtigkeit und Wahrheitsanspruch zu vertreten.

Ich glaube, dass die Chance, den Ukraine-Krieg mit diplomatischen Mitteln zu beenden, vorbei ist.

Die gab es nie.
Die Chance auf eine ukrainische bedingungslose Kapitulation ist vorbei, ja.
Und natürlich bestand die Chance auf einen Appeasementfrieden bis heute.
Aber ein akzeptabler Verhandlungsfrieden, der nicht nur die Interessen der Russen, sondern auch die der Ukrainer und des Westens berücksichtigt, war nicht mal am Horizont.

Mit jedem weiteren Tag schwänden die Chancen auf eine Verhandlungslösung

Nein, die Chancen "schwinden" nicht, sie sind konstant: 0% für akzeptable Lösungen, für einen Appeasementfrieden 100%.
Da hat sich nichts geändert.

Mit - vielleicht! - einer kurzen Phase, als die Ukraine überall Druck machte und noch nicht klar war, dass er mit Massenangriffen doch noch kleine Erfolge einfahren kann.
Aber seit er die Massenangriffe fährt, ist er wieder der Ansicht, er braucht in Verhandlungen nichts abzugeben und es kommen wieder großspurige Ankündigungen.

"eine große Tradition der Vermittlung" gegeben, sagte Hacke unter Verweis auf die Entspannungspolitik der sozialliberalen Koalition (1969 - 1982). Das habe starke Einbußen erlitten; er sei darüber nicht glücklich.

Das ist verständlich. Ich persönliche halte die Entspannungspolitik durchaus für erfolgreich, mit der Sowjetunion hat das durchaus geholfen, mit Gorbatschow hätte sich das noch besser entwickeln können.
Aber seit dem Anti-Gorbatschow-Putsch sind die alten Imperialisten wieder an der Macht, aber diesmal ohne Mäßigung durch die Diplomatenfraktion, und seither ist Entspannungspolitik zwecklos. Die setzt ja voraus, dass die Gegenseite auf die Entspannung ein Stück weit eingeht, und das tut Putin nicht, im Gegenteil: Er eskaliert immer weiter.

Wenn die russische Politik sich ändert, kann auch Entspannungspolitik wieder Sinn machen.
Momentan ist sie jedenfalls sinnlos, außer man will Appeasement und blendet aus, dass Russland dann scheibchenweise immer weiter ausgreifen würde.

Wir haben Putin genügend gereizt

Das ist jetzt eine völlig unsinnige Aussage.
Putin hat seinerseits den Westen permanent gereizt, mit Tschetschenienkrieg (oder war das noch Jelzin?), mit Georgien, später stärker mit der Krim.
Auch in punkto Klimawandel war Russland alles andere als hilfreich.

Und jetzt ist der Westen schuld, man hätte den Putin gereizt?
Putin hat sich einfach immer mehr herausgenommen und die Grenzen ausgetestet, und als mit der Krim die rote Linie überschritten war und man ernsthaft mit Gegenmaßnahmen angefangen hat, habe man "Putin gereizt"?
Das ist nicht nur eine völlig einseitige Sicht, das ist regelrecht dumm. Putins laute Klagen über die NATO-Osterweiterung hätte er schon vor Jahren vortragen können, er hätte verhandeln können, mit welchen Maßnahmen man den ehemaligen Ostblockländern ihre Furcht vor Russland hätte nehmen können.
Und jetzt beschwert er sich lauthals, die russischen Sicherheitsinteressen würden ignoriert - was ist mit den Sicherheitsinteressen der Balten, Polen, Slowaken, Ungarn, Rumänen, Moldawier, Ukrainer?
Nee, echt nicht. Dieses "wir haben Putin gereizt" ist keinerlei Legitimation, das ist reines Zurückweisen und wieder Appeasement-Denke: Den großen bösen Mann bloß nicht ärgern und mit Zehenspitzen um ihn rumschleichen, sonst erschießt er noch mehr Leute - diese Haltung kann unter gewissen Umständen die einzig realistische sein, aber sie löst kein einziges Problem, am Ende regiert der böse Mann alles, bis ein noch böserer Mann kommt.

Man müsse auch "mit den Autoritären zusammenarbeiten" und neue Ansätze der Kooperation finden.

Hat Deutschland ja viele Jahre gemacht, mit der DDR, mit Russland, mit China. Wenn ein Staat da Erfahrungen hat, dann Deutschland.
Aber wenn der Autoritäre partout keine Kooperation will, außer in der Form von totaler Unterwerfung unter seine Ziele?

Davon abgesehen ist Hacke einfach viel zu pessimistisch, was den Kriegsverlauf angeht.
Die Rüstungsproduktion im Westen fährt gerade hoch. Sollte Trump die US-Unterstützung zurückfahren, wird die EU notgedrungen noch weiter hochfahren, weil sie kein Appeasement will und deshalb muss sie weiter aufrüsten, bis sie Putin aus eigener Kraft aufhalten kann.
Es ist zwar möglich, dass die Aufrüstung zu langsam geht, um die Ukraine vor einer Kapitulation zu bewahren, aber Russland macht immer noch keine großen Geländegewinne und es werden ja immer noch Munitionslieferungen organisiert, bevor die reguläre Produktion hochgefahren ist. Dass die Ukraine das durchhält, ist jetzt nicht gesichert, aber sie hat gute Chancen.

Und wenn die Ukraine ausreichend Unterstützung erhält, wird Putin die Volkswirtschaft unterm Hintern wegbrechen.
Die Phasen einer Kriegswirtschaft:
- Priorisierung der Militärproduktion im Markt
- Depriorisierung der Zivilproduktion im Markt
- Planwirtschaftliche Umlenkung von Ressourcen
- Immer kreativere Erschließung von Reserven
- Wenn die letzte Reserve leergelaufen ist: Zusammenbruch
Im Moment ist Russland in der vorletzten Phase. Derzeit Verkürzung der Ausbildungszeiten, damit die Leute früher einberufen werden können (im Alter von 15-16 Jahren), Besteuerung hoher Einkommen, Aufrufe zu "freiwilligen" Spenden an die Oligarchen. Momentan flüchten die Gastarbeiter aus Russland, weil sich langsam rumspricht, dass man als Gastarbeiter schnell in einem Rekrutierungsbüro landet und zur Unterschrift gezwungen wird - da geht gerade eine Reserve ganz von selber weg.

Diese vorletzte Phase kann eine ganze Weile dauern. Mehrere Jahre. Die ganze Wirtschaft läuft dann immer mehr "auf Kante", und dann kann recht plötzlich die letzte Phase eintreten.
Die Nazis (sorry) hatten beispielsweise am Ende einfach nicht mehr genug Benzin für die Panzer, was ihre Operationen immer mehr behindert hat, bis sie auf den D-Day nicht mehr entschlossen reagieren konnten, aus Angst, ihre Panzer hinterher nicht mehr zum eigentlichen Angriffspunkt verlegen zu können. Der Klassiker, wenn man keine Reserven hat, denn dann wird jede taktische Entscheidung zum strategischen Risiko, man wägt ab und wartet auf genauere Informationen, und dann ist es zu spät.
In Russland wird das wohl nicht so laufen, außer die Ukraine kann tatsächlich flächendeckend die Raffinerien beschädigen. Aber da wirken die Sanktionen, Russland wird zu immer unpopuläreren Maßnahmen gezwungen und irgendwann sagen die ranghohen Militärs oder der FSB: Jetzt ist es aber genug. Das wird dann für alle überraschend kommen, weil die natürlich vorher zu niemandem reden und erst Recht nicht mit der Presse.

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