Offensichtlich verteidigen die Ukrainer an einigen Fronten nicht mehr mit vollem Einsatz. Das ist allenfalls noch eine Hinhaltetaktik, die nur noch große Durchbrüche verhindert und auf Zeitgewinn zielt, um die eigenen Kräfte heil herauszuziehen. Es geht dabei nicht mehr um fehlende Munition oder Ausrüstung, sondern vor allem um fehlende Mannstärke. Kräfteverhältnisse von 8:1 bei der Infanterie können aber nicht aus den Kräfteverhältnissen zwischen ukrainischer und russischer Armee erklärt werden. Die Invasionstruppen sind bei weitem nicht so viel stärker als die der Verteidiger.
Es liegt nahe, dass die Ukraine die Verteidigung auf für sie günstige Positionen konzentriert, wo sie die angreifenden Russen stark abnutzen kann, ohne selbst mit hohen Verlusten zu bezahlen. Und dass sie Reserven bildet, um anderswo die Initiative zu übernehmen. Es macht eben nicht viel Sinn, die eigenen Soldaten den in Frontnähe luftüberlegenen Russen als statisches Ziel anzubieten. Der massive Einsatz von Gleitbomben hat das Festhalten an ausgebauten Stellungen oder die Verteidigung von Wohnblocks in Industriesiedlungen zu einem Himmelfahrtskommando gemacht. Die Ukrainer ziehen jetzt die Konsequenzen daraus. Für die ausgedünnten Truppen, die mit unzureichenden Mitteln die Russen aufhalten sollen ist das natürlich trotzdem maximal frustrierend.
Die Kursk-Offensive hat gezeigt, dass die Ukraine durchaus erfolgreich sein kann, wenn sie selbst Ort und Zeit der Operation bestimmt und schnell und überraschend zuschlägt. Ich rechne damit, dass es noch mehr und vielleicht auch größer angelegte derartige Operationen geben wird. Kursk war wohl eher ein Versuchsballon. Die Deckung des Hinterlandes und das schnelle Schließen von Lücken scheint eine Schwachstelle der Russen zu sein.
Bis jetzt hat Russland nach mehr als einem Jahr verlustreicher Offensive noch nicht einmal annähernd das zurückerobert, was bei der ukrainischen Herbstoffensive 2022 verloren wurde.