heiner49 schrieb am 18.07.2024 13:07:
Russland kommt anscheinend sehr langsam voran nach einem übereilten und gescheiterten Vorstoß und einer Gegenoffensive, der dann die Puste ausgegangen ist.
Klar scheint, daß Russland die Ukraine besiegen will und auch, daß die Ukraine nicht aufgeben will. Beide tun ihr mögliches, was ja auch logisch ist.
Bei einem Eroberungskrieg, speziell wenn er im Stile eines Blitzkriegs, wie der Ueberfall auf Polen im 2. WK gefuehrt wird, waere langsames Vorankommen in der Tat fuer den Angreifer verheerend.
Da wir in der Ukraine aber inzwischen einen Abnutzungskrieg haben, ist das Vorankommen bestenfalls sekundaer. Dagegen genuegt es fuer einen Erfolg bereits, wenn man, anteilig (1), mehr gegnerische kriegswichtige Ressourcen vernichten kann, "human resources" eingeschlossen, als man selbst verliert. Die Russen koennen es sich also in ihren Stellungen gemuetlich machen, solange ihre Fleischwolf nicht leer dreht.
Die russische Strategie scheint zu sein, erst einmal alles an der gegnerischen Front zu zerbomben, dann einen kleinen Trupp zu schicken, der auslotet, was noch an Verteidigung uebrig ist, und das weitere Vorgehen an die Reaktion anzupassen. Wenn der Sondierungstrupp also auf heftige Gegenwehr stoesst, oder in eine Falle laeuft, dann bleibt man, wo man ist, bombardiert weiter, und versucht es nach einer Weile wieder. Dank Luft- und Satellitenueberwachung duerften die Russen auch in der Lage sein, zu erkennen, ob und wie sich die Ukrainer bewegen. Ein gezieltes "hit and run" gegen die Sondierungstrupps duerfte also zumindest schwierig sein.
Sollten die Russen dagegen nur leere Ruinen finden, in denen nichts mehr zu zerstoeren ist, dann koennen sie die Front vorverlegen, was vermutlich in mehreren Etappen erfolgt, und das boese Spiel wiederholt sich.
Fuer die ukrainischen Truppen ist diese Situation wohl alles andere als wuenschenswert. Allerdings verhindern sie so zumindest, dass die Front sich zu schnell verschiebt, und noch ausharrende Zivilisten in den russischen Fleischwolf geraten. (2)
(1) Wenn Russland doppelt so viele Soldaten und Kriegsgeraet hat wie die Ukraine, waeren folglich selbst beinahe doppelte Opferzahlen auf der russischen Seite als militaerischer Erfolg von Russland zu werten. Ich vermute aber, dass die Verluste auch absolut fuer die Ukrainer deutlich hoeher sind.
(2) Ich hab vor einer Weile die verfuegbaren Zahlen zum Ukrainekrieg mit denen anderer Kriege verglichen. Dabei ist mir aufgefallen, dass die zivilen Opfer erheblich geringer sind als in bisherigen Kriegen. Das zeigt sowohl, dass Russland kein gesteigertes Interesse daran hat, Zivilisten zu toeten, als auch, dass die langsame Frontbewegung zu verhindern hilft, dass Zivilisten einfach ueberrollt werden.
Bei all dem habe ich den Eindruck, dass die Ukraine seit etwa einem Jahr einen verlorenen Kampf fuehrt, auf den sich Russland inzwischen sehr gut eingestellt hat. Ich frage mich, was die ukrainische Seite daran hindert, nachzugeben, und zumindest so viel zu retten, wie noch gerettet werden kann. Der Fall von Georgien legt nahe, dass ein einigermassen ertraeglicher Kompromiss durchaus moeglich sein sollte.
- Werner