kemmerich schrieb am 06.10.2023 07:46:
Was wäre denn "Niederlage" überhaupt?
Die ukrainische Friedensformel - so selbstverständlich sie im Hinblick auf das Völkerrecht auch sein mag - würde für Russland bedeuten, dass all die vielen Opfer, die für den Krieg gebracht wurden, nicht nur sinnlos waren, sondern Russland in eine weitaus schlechtere Position gebracht haben als vor dem 22.02.2022. Selbstverständlich wäre das aus russischer Sicht eine saftige Niederlage.
Richtig.
Aber eine saftige Niederlage wird Putin nicht in Panikreaktionen verfallen lassen.
Die würden kommen, wenn seine Macht bedroht ist. Oder sein Leben, aber das riskiert er, wenn er die Macht verliert, letztlich läuft es also auf seinen Machterhalt hinaus.
Den wird man ihm auch lassen.
Was man nicht akzeptieren wird, ist sein Wunsch, die russische bzw. sowjetische Hegemonie wiederherzustellen. Die osteuropäischen Staaten sind für die Größe des EU-Binnenmarkts viel zu wichtig, als dass die EU das aufgeben würde, die Amis sind viel zu glücklich, Russland weniger mächtig als vorher zu sehen, und da man das verhindern _kann_, wird man das auch tun. (Und das Atomrisiko möglichst klein halten wird man auch.)
Letztlich bleibt es sowieso abzuwarten, was dann geschieht.
Ne, abwarten ist ja leider nicht, weil außer Putin noch jemand den Krieg am Laufen hält: der Westen mit seinen Waffenlieferungen.
Wieso "leider"?
Und warum sollte das Einstellen der Waffenlieferungen irgendwas verbessern?
Ich mag's ja nicht schon wieder wiederholen, aber Putins Ziele gehen ja weit über die Ukraine hinaus; entweder richten wir uns darauf ein, dass er seine Ziele immer weiter steckt, bis wir selber Teil seines Imperiums werden, oder wir stoppen ihn, und wenn wir ihn stoppen wollen, ist der beste Punkt immer die Gegenwart.
Und über den nicht unerheblichen deutschen Anteil entscheidet dort, wo alle Macht vom Volke ausgeht, letztendlich die politische Stimmung im Land. Als maßgebliche Akteure des Krieges stehen wir in der Verantwortung und müssen uns Gedanken darüber machen, inwieweit wir auf eine Eskalation zusteuern.
Ja, aber wo eskaliert es denn?
Die Intensität der Waffenlieferungen ist irrelevant; für Putin (wie für jeden Diktator) zählen Ergebnisse und das ist: Die Ukraine rückt langsam vor.
Letztlich zählt also nur, ob man der Ukraine genug gibt, damit sie schneller vorrücken kann. Wird sie zu schnell, kann es sein, dass Putin in Panik gerät.
Wobei es momentan keinen Grund für Zögerlichkeiten gibt. Langsames und stetiges Vorrücken geht auch mit 10 km pro Woche, ohne dass da jemand Furcht vor unkontrollierten Entwicklungen haben muss.
Wenn die Gegenoffensive erfolgreich genug ist, wird man sich Gedanken machen müssen, ob man nicht das Vorrücken sogar absichtlich verlangsamt, sobald sich die Ukrainer der russischen Grenze nähern.
Andererseits haben sie bisher kein einziges Mal versucht, die Grenze nach Russland zu überschreiben. Im Norden könnten sie ja, und rein militärisch sollten sie eigentlich auch, um die Russen zu aufwändiger Logistik zu zwingen; aber die Ukrainer verzichten darauf. Die wissen genau wie wir, warum sie das nicht tun - die haben ja genausowenig Lust auf Atomkrieg wie wir, eigentlich sogar noch weniger.