Dass dieser Krieg - im Gegensatz zu anderen - wirklich jedem eine dezidierte Meinung abfordert, zeigt das Bestreben interessierter Kreise, die russische Invasion als absolut singuläres, mit keinem Krieg der Vergangenheit oder Gegenwart vergleichbares monströses Ereignis ins kollektive Bewusstsein einzubrennen. Journalisten, Politiker, Künstler, Literaten und Privatpersonen schildern ihre Sicht der Dinge. Bei diesem "Outing" tritt im Bekanntenkreis mitunter Überraschendes zu Tage. Eine Kontroverse in den Medien findet dagegen überhaupt nicht statt. Im Zuge der eindimensionalen Berichterstattung aus rein ukrainischer Perspektive ergießt sich stattdessen ein schier unerschöpfliches Kübel nichtssagender Phrasen und dümmlicher Parolen ohne Erkenntnisgewinn in die öffentliche Diskussion. Vier von fünf Vertretern einer Talkrunde im ÖR übernehmen zu 100 Prozent das ukrainische Narrativ und meist auch die darin enthaltenen nationalistischen Tendenzen. Jegliches Hinterfragen der Saga, die westliche Demokratie werde gegenwärtig ausgerechnet von einem korrupten, seit Kriegsausbruch im Übrigen oppositionslos, autokratisch strukturierten Oligarchenstaat verteidigt, wird mit der immer gleichen persönlichen Zuordnung in den identitätspolitischen Setzkasten quittiert. Sofortige Verhandlungen und einen Waffenstillstand oder gar Konzessionen von ukrainischer Seite zu fordern, wird ins Unmoralische verdreht und rechtfertigt den Ausschluss des Fordernden aus dem Diskurs. Wen wundert es da, dass wir uns der infantilen Weltsicht der US-amerikanischen Gesellschaft nähern, nach der die Guten stets gegen die Bösen kämpfen und die Guten am Ende gewinnen?