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  • Guckstu

mehr als 1000 Beiträge seit 18.03.2024

Re: Entscheidungsschlacht

wa schrieb am 07.11.2024 13:13:

Der Artikel trifft den Nagel auf den Kopf. Ich weiss nicht, welche der vielen Schlachten in der Ukraine die Entscheidungsschlacht war, aber ich bin mir sicher, dass sie irgendwann im Laufe von 2023 stattfand.

In einem Abnutzungskrieg gibt es keine Entscheidungsschlacht!
Ein Abnutzungskrieg ist entschieden, wenn eine Seite ihre Verluste nicht mehr ausgleichen kann.
Für die Russen gilt, dass sie Produktion und Einkäufe fürs Militär hochhalten müssen. Das ist wacklig, hält aber bisher noch zusammen.
Für die Ukrainer gilt, dass sie genügend Personal bereitstellen müssen und genügend Hilfen erhalten müssen. Das Personal haben sie ganz gut im Griff, auch wenn die Ukraine-Defätisten immer wieder Mücken zu Elefanten aufzublasen versuchen. Bei den Hilfen hängt es an USA und EU, demnächst wahrscheinlich allein an der EU.

Seither wurde von Seiten der Ukraine nur noch weitergekaempft, um die Niederlage nicht eingestehen zu muessen. waehrend Russland sich mehr oder weniger darauf beschraenkt, seine bisherigen Eroberungen zu halten.

Das wäre richtig, wenn die Russen ihre Angriffe zurückfahren würden.
Die Russen tun das Gegenteil, die intensivieren ihre Angriffe, wo immer sie können.
Sie wollen also weiter Land erobern, und da gelingt ihnen auch was, wenn auch nicht viel.

Deine Interpretation des Geschehens ist damit widerlegt, es sei denn, du findest Gegenargumente.

Es wurden schon viele Gelegenheiten verpasst, diesen Krieg zu vermeiden oder zu beenden.

Es gab keine solche Gelegenheit.

Außer, du zählst als Kriegsvermeidung, dass die Ukraine zum russischen Vasallenstaat wird.
Was, da sie offiziell als "Brudervolk" gelten, auf schrittweise Aufgabe aller Souveränität und Eingemeindung in die Russische Föderation hinausläuft. Wobei Ukrainer bei den Russen generell als unzuverlässig und potenziell verräterisch gelten (alte stalinistische Sichtweise, die vor einigen Jahren wieder hervorgekramt wurde), womit eigentlich nur "Umerziehung" zu aufrechten Russen übrigbleibt - siehe "Was Russland mit der Ukraine tun sollte", ist offizielles Dokument und immer noch auf Novosti abrufbar, lies dir das mal durch - erinnert schwer an den maoistischen Umgang mit Dissidenten, und ich glaube ja nicht, dass die Russen mit den Ukrainern pfleglicher umgehen würden als das maoistische China.

Was das für die Ukraine bedeutet?
Keine Toten im Krieg, sondern jede Menge Tote bei der "Umerziehung".
Plus der Verlust der Möglichkeit, jemals eine anständige Infrastruktur zu erhalten, weil die russische Wirtschaft ja das Militär und die Korruptokraten priorisiert, nicht die Verbesserung von Lebensverhältnissen.
Was bedeutet, dass jeder einzelne Ukrainer 10 Jahre Lebenserwartung verliert.

Unterm Strich verliert das ukrainische Volk also an der Front bis heute und auch noch auf etliche Jahre viel weniger Lebensjahre, als wenn es den russischen Wünschen folgt.
Die Lebensqualität unterm russischen Regime wäre wahrscheinlich auch nicht so doll.

Nun ergibt sich eine weitere: Selensky kann dem Ausbleiben der Hilfe die Schuld dafuer geben, dass aus dem von ihm ertraeumten endgueltigen Sieg nichts wird.

Das hat er immer so gesagt, und das ist ja auch sachlich völlig richtig: Mit Hilfen kann die Ukraine gewinnen, ohne Hilfen wird sie sicher verlieren und der Ukraine bleibt nichts als Kapitulation.

Da wird keine Schuld abgeschoben, das sind ganz klar Ursache und Wirkung.

Trump wird - so oder so - alles auf seinen Vorgaenger schieben.

Nein, das kann er nicht.
Er hat behauptet, er könne in 24 Stunden Frieden schließen. Kein Mensch erwartet, dass ihm das gelingt, aber es wird von ihm schon erwartet, dass er in vernünftiger Zeit was zustandebringt, sonst kommt das auf die Liste seiner nicht eingehaltenen außenpolitischen Versprechen, da steht ja schon Nordkorea.
Solche Misserfolge vertragen sich nicht gut mit seinem narzisstischen Ego, er wird da wohl aktiv werden.

Über Trumps Vorstellungen ist ja schon einiges bekannt, da seine Berater bereits den Auftrag haben, konkrete Vorschläge zu machen.
Trumps Grundlinie ist sehr viel weniger als Russlands bisher bekannte Kriegsziele.
Putin wird also ablehnen.

Und wenn Putin dabei irgendeinen Fehler macht, der Trumps Ego verletzt, kann es sein, dass Trump in den Rachemodus geht und auf einmal sogar richtig viel Unterstützung schickt. (Er wird trotzdem darauf bestehen, dass die Europäer dafür zahlen. Aber Trump wird dann WOLLEN und entsprechend Arme auf den Rücken drehen, und da es in Europa durchaus Politiker gibt, die die Ukraine unterstützen wollen, kann es gut sein, dass das funktioniert.)
Natürlich ist nicht gesagt, dass Putin diesen Fehler macht. Was aus diesen Verhandlungen wird, bleibt wirklich abzuwarten, und es könnte auch sein, dass Trump irgendetwas wirklich Dämliches anstellt, wobei die Chancen 50:50 sind, ob es der Ukraine schadet oder nicht.

Putin duerfte seine verbleibenden strategischen Ziele am Verhandlungstisch erreichen koennen,

Vielleicht.
Die Russen sind mit Trump als Präsident nicht unbedingt glücklich. Er ist ihnen zu unberechenbar, und da Russlands Sieg alles andere als sicher ist, sind unberechenbare Gegner für sie tatsächlich gefährlich.
Und trotz Trumps putinfreundlicher Rhetorik hat er am Ende doch die Sanktionen gegen die Russen nicht nur mitgetragen, sondern mit verschärft. Er mag Putin, aber er ist kein Russlandfreund; Trumps Freundschaft ist halt wie immer strikt daran gekoppelt, ob man ihm nützlich ist, und offenbar war Putin ihm in seiner ersten Amtszeit nicht nützlich.

und wird froh sein, die vor der Teilmobilisierung 2022 geflohenen Russen wieder heimholen zu koennen.

Nach dem Krieg hat Putin ein großes Problem: Seine Wirtschaft ist ausgezehrt.
Er hat da zwei Optionen:
Entweder wird er einen Wirtschaftszusammenbruch akzeptieren, diesen Zusammenbruch abfedern, so gut es geht, und die Wirtschaft wieder aufbauen. Das wird mehr als ein Jahrzehnt dauern und ist für Putin wenig attraktiv.
Oder er wählt die nordkoreanische Option: Alle Ressourcen dem Militär, die Zivilisten dürfen hungern, dafür kann er weiter militärisch drohen.
Es gibt auch Zwischenstufen, aber egal, welches Modell er wählt: Es wird niemanden zur Rückkehr motivieren, da kriegt er nur die Leute mit Heimweh und/oder dort gebliebener Familie.
Wahrscheinlicher ist, dass die Leute im Ausland bleiben, Geld verdienen und der Familie nach Russland schicken.

Wegen des Winters wird sich der Krieg ohnehin verlangsamen. Es waere also ein guter Zeitpunkt, ihn jetzt ganz zu beenden.

Nee, im Winter geht es wieder so richtig los.
Was jetzt kommt, ist die Schlammzeit. Die Ukraine ist ein sehr flaches Land, in dem Niederschläge nur langsam ablaufen, deshalb wird der Boden im Frühjahr und Herbst mit reichlich Regen sehr nass und schlammig.
Im Winter gefriert das alles und dann können die Panzer wieder fahren.

Wir werden also zwei, drei Wochen reduzierte Intensität bei Bodenoperationen haben.
Bomben werden sie alle beide trotzdem mit vollem Einsatz werfen. Sogar mehr als sonst, weil die Parteien ihre Luftabwehrstellungen dann nicht mehr werden bewegen können, was sie verwundbar gegen Angriffe macht.
D.h. beide Seiten werden jede Menge Drohnen, Gleitbomben und Marschflugkörper schicken und versuchen, die gegnerischen Flugzeuge abzuschießen.

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