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Avatar von Axel Farr
  • Axel Farr

mehr als 1000 Beiträge seit 06.05.2002

Vor dem Frieden käme ein Waffenstillstand

Ich finde die Debatte um die "verpasste Chance von Istanbul" ziemlich an den Haaren herbeigezogen.

Seitdem sind 2 Jahre ins Land gegangen, und vor allem die strittigen Punkte bei diesen Verhandlungen sind aus heutiger Sicht absolute Roadblocker geblieben.

Man kann den letzten Stand so darstellen:

Position Russlands:

* Die Ukraine gibt die besetzten Gebiete sämtlich ab.
* Die Ukraine gibt alle ausländischen Waffen ab
* Die Ukraine reduziert die Stärke der Armee auf deutlich unter 100.000 Mann
* Die Ukraine verankert ein Verbot des "Nazismus" in seiner Verfassung
* "Russlandfreundliche" Parteien werden wieder erlaubt

-> De Facto wollte Russland die Ukraine wehrlos machen. Das Verbot des "Nazissmus" sollte vermutlich so angelegt sein, dass einer "re-Russifizierung" der Ukraine nichts mehr im Weg steht.

Position der Ukraine
* Es gibt keine Anerkennung der russischen Oberhoheit über die besetzten Gebiet, das wäre im Nachgang zu klären z.B. durch Volksabstimmungen
* Ausländische Waffenlieferungen begrenzen, aber der Überfall hat gezeigt dass sie nötig sind
* Die Armee muss mindestens auf der Stärke wie vor dem russischen Überfall bleiben
* Kein russischer Eingriff in die Verfassung der Ukraine
* Sicherheitsgarantien, die auch den Einsatz von Militär mit einschließen um einen erneuten Überfall zu verhindern.

Die beiden letzten Entwürfe die ausgetauscht wurden waren sehr deutlich unterschiedlich.

Vor allem die Aufdeckung der Kriegsverbrechen von Butscha hat den Ukrainern klargemacht, welche Option eine Besetzung durch Russland darstellt. Und die wäre unabwendbar gewesen, wenn man weiter als von der Ukraine damals gewollt auf Russland zugegangen wäre.

Hinterher kann man sich schön immer ausmalen "was wäre wenn". Was wäre wenn der Westen rasch nach dem Beginn der russischen Offensive einen Luftschirm über der Ukraine gespannt hätte, so wie man das damals im Südirak gemacht hatte? Tausende Zivilisten wären dann heute noch am Leben, und auch die Ukrainische Gegenoffensive wäre viel effektiver gewesen. Den Westen hätte das möglicherweise -zig Flugzeuge gekostet.

Was wenn die Ukraine sich gleich ergeben hätte? Würden die Russen dann heute schon die baltischen Staaten kontrollieren?

Pazifismus ist eine tolle Idee. Man braucht sich aber dann bitte nicht zu wundern wenn das eigene Leben etwas dadurch eingeschränkt wird, dass der böse Nachbar das ausnutzt. Wenn das OK ist, dann bitte. Eine eigene Meinung verkneift man sich dann aber besser.

Für mich ist bezeichnend, dass sich Russland auf die "Friedensverhandlungen" nur unter der Bedingung eingelassen hatten, dass die Kämpfe weiterlaufen. Ich bin immer noch der Meinung, dass Russland da nur Show machen wollte. Es waren dort Leute aus der 3. und 4. Garde des Kreml am Verhandlungstisch, und wenn die nicht mit einem "Alles klar, ist gebongt, die Ukraine wird unser" zurückgekommen wären hätten die Verhandlungen aus russischer Sicht jederzeit mit einem "nein danke, tut uns leid, jetzt nicht mehr" abgebrochen werden können.

Dass die Ukraine damals durch den Rückzug der Russen vor Kiew scheinbar militärisch den besseren Stand hatte erweckt jetzt den Schein, dass es nur die Schuld der Ukraine war, die einen Friedensschluss verhindert hätte. Russland wollte ihn aber damals wohl mindestens genauso wenig.

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