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  • Axel Farr

mehr als 1000 Beiträge seit 06.05.2002

Die Eskalation geht kontinuierlich von Russland aus

Wer jetzt hier wieder die Welt einen Schritt näher am großen Krieg sieht oder am Untergang hat nicht zwingend Unrecht.

Das Problem ist aber, dass Russland kontinuierlich eskaliert.

Schon 2022 hätte die Ukraine (damals noch fast ausschließlich mit eingenem Material bzw. Material, das vor dem Angriff Russlands geliefert worden war) in einer weiträumigen Offensive durch das Gebiet von Kursk und Belgorod hindurch den russischen Truppen in der Region Charkiw einkesseln können. Kiew hat sich dagegen entschieden und ging die russischen Truppen direkt an. Die Offensive war erfolgreich, bis Russland es schaffte, mit eingeflogenen Luftlandetruppen die Lage in der Grenzregion zwischen Charkiw und Luhansk zu stabilisieren.

Selbst zu diesem Zeitpunkt war Russland nicht gewillt, den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg einzustellen, sondern mobilisierte hunderttausende Reservisten und annektierte formell die ukrainischen Oblaste durch die die Front damals ging - nur vom Oblast Charkiw hatten sie keine größere Stadt mehr in der Hand, daher musste diese damals ausgelassen werden.

Die Unterstützung der Ukraine durch den Westen hat sich bis jetzt primär darauf beschränkt, der Ukraine ein Überleben in diesem Krieg zu garantieren - auch die Ausrüstung, die für die ukrainische Offensive 2023 geliefert wurde war für einen erfolgreichen Sieg der Ukraine zu gering, das war allen Beobachtern damals schon klar. Ziel der Ukraine war es damals primär, bis zum Assowschen Meer durchzustoßen um die Front im Süden und die Krim weitgehend ohne Versorgung zu lassen.

Dadurch, dass Russland mit der Offensive seit dem Herbst 2023 die Ukraine immer mehr in Bedrängung gebracht hat und vor allem durch die massive Zerstörung ziviler Infrastruktur seit dem Frühjahr 2024 hat sich die Sichtweise der Politiker in den meisten Unterstützerländern jetzt nach und nach geändert: Aus dem Ziel "Die Ukraine darf den Krieg nicht verlieren" ist mittlerweilse eher ein "Russland muss den Krieg beenden wollen" geworden.

Die letzte Stufe der Eskalation durch Russland war die im Frühjahr gestartete Offensive gegen Charkiw (sie startete im Grunde schon im Februar / März diesen Jahres als erstmals Gleitbomben von russischem Gebiet auch gegen die unmittelbare Umgebung von Charkiw eingesetzt worden waren). Spätestens hier war den westlichen Politikern klar geworden, dass ein "die Ukraine darf nicht verlieren" nicht ausreichen würde, um den Krieg zu beenden.

Russland baut im Moment seine Wirtschaft so um, dass es den Krieg noch jahrelang führen kann. Entweder macht der Westen da mit (was hier eigentlich keiner will, weil zu teuer) oder die Ukraine wird in spätestens 2 Jahren so weit gebracht, dass Russland mindestens einsehen muss, dass entweder alle okkupierten Gebiete verloren sind oder der Krieg sogar auf russisches Territorium übergreifen wird.

Der Westen hatte (auch aus Angst, dass es in Russland zu Aufständen und Chaos kommt) bisher noch Zurückhaltung geübt. Gebracht hat es bisher nur zigtausend Verluste auf ukrainischer Seite und im letzten halben Jahr ein Ausmaß der Zerstörung in der zivilen Infrastruktur der Ukraine die so dramatisch ist, dass in der Ukraine im Moment keiner sagen kann, wie im nächsten Winter die Bevölkerung die Wohnungen heizen soll. Man darf nicht vergessen, dass die zerstörten Kohlekraftwerke in der Ukraine auch ganze Viertel von Großstädten mit Heizenergie versorgen.

Selbst ein Einsatz westlicher Truppen in der Ukraine wird nicht mehr ausgeschlossen. Wer hier den Anfang eines Kriegs der NATO gegen Russland sieht hat aber nicht unbedingt Recht: Wenn der Westen Truppen bereitstellt, diese aber unter dem formellen Kommando Kiews kämpfen dann ist das immer noch kein Krieg der NATO gegen Russland. Die westlichen Politiker müssten sich dann aber vorwerfen lassen, warum man nicht früher gehandelt hatte als der Krieg noch weniger Tod und Zerstörung über die Menschheit gebracht hatten.

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