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  • Guckstu

mehr als 1000 Beiträge seit 18.03.2024

Re: Chancen auf Beendigung des Krieges

hdwinkel schrieb am 20.09.2024 21:14:

Angenommen, die Annahmen im Beitrag stimmen, dann wäre es doch ein guter Ansatzpunkt, diese Situation zu nutzen und zumindest über ein Ende der Kämpfe nachzudenken.

Tut man doch längst!
Bisher ist halt nichts zu erkennen, dass Putin sich da bewegt. Da steht ja immer noch der "wenn Ukrainer in Russland stehen, verhandle ich nicht".
Nicht, dass er bisher überhaupt zu ernsthaften Verhandlungen bereit gewesen wäre.

Wahrscheinlich braucht es noch ein paar Rückschläge mehr, dass er ernsthaft in Betracht zieht, dass er diesen Krieg verlieren könnte.
Und solange er noch daran glaubt, dass er den Krieg noch gewinnen kann, indem er immer weiter eskaliert über jedes Maß hinaus, wird er einfach keinen Grund zu Verhandlungen sehen. Das ist nicht so viel anders als bei unserem eigenen schnauzbärtigen Diktator, der sich immer krampfhafter an seinem Glauben an den Endsieg festgeklammert hat, weil es gar keine andere Option mehr für ihn gab.

Wie es aussieht, scheinen also beide Kriegsparteien am Rande ihrer Erschöpfung. Damit sollte in den Führungen beider Länder doch die prinzipielle Bereitschaft vorhanden sein, den Krieg tatsächlich beenden zu wollen, selbst wenn es von den jeweiligen Staatsführungen nicht öffentlich geäußert wird.
Woran scheitert es also?

In erster Linie wohl Putins Weigerung, zu akzeptieren, dass er nicht mehr gewinnen kann.
Die Ukraine lässt ja Verhandlungsbereitschaft erkennen, wenn auch sehr vage und verklausuliert und wahrscheinlich nur als Pflichtübung, damit die Unterstützer sehen, dass das nicht zwangsweise mit maximalem Einsatz und maximalen Verlusten laufen soll.

In der Ukraine gibt es die Rechtsaußenfraktion, die es kaum zulassen wird, nach all dem Pathos und den Verlusten, irgendwelche Zugeständnisse zu machen.

Die Rechtsaußenfraktion war nie für die ukrainische Politik bestimmend.
Die waren zwischendurch mal Koalitionspartner, aber nur kurzzeitig, und vorher und nachher nie relevant, mittlerweile nicht mal mehr im Parlament vertreten.

Aber tausch das gegen Nationalistenfraktion, und dann sind die schon ein Hindernis.
Wahrscheinlich kein unüberwindliches. Selenski selbst ist ja mit vielerlei sehr nationalistischen Äußerungen aufgefallen, aber selbst er hat in den letzten Wochen sehr anders geredet und ernsthaft über Friedensverhandlungen nachgedacht - auch wenn ich nicht glaube, dass er auch nur halb so viele Zugeständnisse machen will, wie manche Leute hier glauben wollen.

Ist aber alles ohnehin wenig relevant, solange die Russen auch nur eine vage Chance auf einen Sieg sehen. Solange das der Fall ist, werden sie höchstens zum Schein verhandeln.

Selenskyj selbst hat als Hauptbegründung angegeben, nicht ohne Sieg aufhören zu können, weil dann die bisherigen Opfer vergebens gewesen wären. Ich denke mal, das dieses Argument seinen Ursprung nicht in Selenskyj selbst hat, sondern eben auf die Abhängigkeiten von der Nationalistenfraktion zurückgeht.

Beides.
Es ist für Selenski ja auch am einfachsten, wenn er auf dieser Linie bleibt. Die Ukrainer wollen diesen Krieg ja nicht beenden, nicht zu den Konditionen, die Russland bisher angeboten hat: SO weit reicht die Kriegsmüdigkeit offenbar auf keinen Fall.

Putin ist mit ähnlicher Machtbefugnis ausgestattet wie Selenskyj,

Mehr. Viel mehr.
Putin steht effektiv oberhalb der Gesetze und des Parlaments, der ist uneingeschränkter Diktator.
Selenski nicht. Er muss abgesagte Wahlen explizit damit begründen, dass die Gesetze das für den Kriegsfall tatsächlich vorsehen, beispielsweise; Putin hätte einfach angeordnet und gut ist.

'darf' wahrscheinlich noch diktatorischer sein.

Und zwar ganz wesentlich.
In Russland gibt es keine unabhängige Presse mehr, in der Ukraine schon, da ist nur prorussische Presse verboten.

Aber auch er muss zumindest seine potenziellen Nachfolger fürchten, die ebenfalls nationalistisch argumentieren.

Die Nachfolger hat er im Griff. Die hat er selber aufgebaut und die hängen von ihm ab.
Selbst die Gegner, die er kennt, hat er über den FSB fest im Griff, die stehen unter der Drohung, schreckliche verunfallt zu werden und werden den Teufel tun, sich da zu exponieren.
Nur die Gegner, die Putin nicht kennt, können ihm gefährlich werden. WENN es dort einen Umsturz gibt, dann völlig überraschend - für Putin und den FSB, sonst hätte er das längst unterbunden, und erst Recht für den Westen.

Er muss die Frage fürchten, weshalb dieser Krieg nicht längst siegreich beendet wurde. Vielleicht sogar die Frage, weshalb er überhaupt gestartet wurde.

Etwaige Umstürzler sind an dieser Frage wahrscheinlich selbst am wenigsten interessiert.
Sie werden das aber als wohlfeiles Argument benutzen, um Dritte auf ihre Seite zu ziehen. Aber das ist der zweite Schritt nach dem ersten, der überhaupt erstmal ein Umsturz wäre.

Beide Führungen scheinen aber, den Ausführungen im Beitrag entsprechend zumindest das jeweilige Volk als Machtfaktor ernst nehmen zu müssen. Und das wird definitiv fragen, weshalb es keine Verhandlungen gibt. Weshalb es diesen Krieg noch gibt.

Nee, das russiche Volk hat hat keine Mitsprache. Das wird im wesentlichen ruhiggestellt.

Die Ukrainer werden diese Frage nicht stellen. Die haben diesem Krieg zu Beginn sogar sehr überwältigend zugestimmt, und selbst heute noch sind die nicht bereit, damit aufzuhören, solange Putin nichts Sinnvolleres vorlegt.

Wie bekommt man die jeweiligen Völker dazu, nicht nur im stillen Kämmerlein zu hoffen, sondern die entsprechenden Forderungen laut und kraftvoll zu erheben?
Gerade tun beide Präsidenten da etwas extrem destruktives, in dem die jeweilige Infrastruktur zerstört wird. Mehr Druck auf die Bevölkerungen erhöht i.d. R. leider die Bereitschaft, den Nationalisten hinterherzulaufen. Es wird also das Gegenteil erreicht, der Krieg könnte sich somit sogar noch weiter hinziehen.
Was könnten also Anreize an beide Länder sein, die wir in die Wagschale mit einbringen können?

Wir? Wir können da gar nichts in die Waagschale werfen.
Wir können nur entweder genug helfen, damit Putin verliert, oder gar nicht mehr helfen, damit Putin gewinnt.
Helfen wir genug, wird die russische Front zusammenbrechen, wenn nicht vorher jemand putscht oder gar das Volk revoltiert.
Stellen wir die Unterstützung ein, wird die Ukraine sehr schnell kapitulieren müssen.

Unterstützung einstellen... mmm. Der Westen würde da mit seinen Garantien einen derart massiven Vertrauensverlust einfahren, das kann er sich eigentlich gar nicht leisten.
Dazu müsste es in allen Ländern des Westens nicht nur einen Government Shutdown, sondern eine krasse Wirtschaftskrise geben, sowas wie in den 30ern. Bei allem Mitgefühl für die Krisenorakel gegen das westliche Wirtschaftssystem: Sehr wahrscheinlich ist das nicht.

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