Lügen tun sie alle.
Die Frage ist, ob ein Staat berechenbar ist.
Ob er sich an Zusagen hält oder nicht.
Welche Sorten Lügen in welchen Situationen vorgetragen werden, und wo sie Wahres sagen.
Russland hat da einen Haufen Kardinalsünden begangen:
Sie haben der Ukraine territoriale Integrität zugesichert.
Und das auch mit guten Gründen: Die Ukraine hatte etliche der UdSSR-Atomwaffen, und die wollten die eigentlich behalten als Gegengewicht zu möglicherweise wieder erstarkenden imperialistisch-revisionistischen Ideen in Russland.
Also haben sie die Atomwaffen nur im Gegenzug gegen die Zusicherung territorialer Integrität abgegeben, das war der Deal.
Putin hat sinngemäß dazu gesagt: Er hält diesen Deal nicht mehr für relevant.
Aus seiner Sicht haben die Atomwaffen wohl von vornherein Russland zugestanden. Als wären diese Atomwaffen nicht auch mit ukrainischer Industrie und ukrainischem Hirnschmalz gebaut worden, es gibt eigentlich keinen Grund, warum Russland mehr Anspruch auf diese Dinger gehabt hätte als die Ukraine... aber der Westen hat halt auch für diesen Deal geworben, man hat Russland damals noch als verlässlichen Vertragspartner angesehen und wusste nicht recht, wohin die Ukraine noch driften würde.
Im Nachhinein war die Atomwaffen abzugeben der schlimmste Fehler, den die Ukraine hätte machen können.
Aber zurück zu Russland: Es hat den Fehler gemacht, Verträge nicht nur trickreich auszulegen (das Spiel betreiben alle Seiten), sondern sie offen zu brechen.
Das bedeutet, dass man sich nicht mehr darauf verlassen kann, dass Russland einen Vertrag zumindest dem Buchstaben nach einhält. Und dass Verhandlungen mit Russland sinnlos sind, denn sie werden auch z.B. einen Waffenstillstandsvertrag in dem Moment brechen, in dem er ihnen unbequem wird.
Offenbar reagiert Russland nur noch auf direkte militärische Stärke, einen Friedensvertrag zu verhandeln würde nichts bringen, das ein simpler Waffenstillstand nicht auch bringt. Insbesondere lohnen keine Zugeständnisse an russische Positionen, die Russen würden das gerne akzeptieren, dafür aber keine Verpflichtungen einhalten, also bringen Zugeständnisse überhaupt nichts.
Außerdem hat es den Fehler gemacht, sich abrupt von jedem Kontakt mit der Realität abzunabeln, zumindest in seinen öffentlichen Aussagen.
Da kommen Atomkriegsfantasien hoch, da wird (recht realitätsfern) von einem unweigerlichen Sieg in der Ukraine gesprochen.
Propaganda dieser Art hat eine Tendenz, irgendwann auch die Entscheider zu beeinflussen, die das selbst in Auftrag gegeben haben. Und dann koppeln sich die Entscheider so sehr ab, dass sie einem nicht mehr glauben, wenn man ihnen sagt, dass ihre Ziele und Verhandlungspositionen unrealistisch sind. (In der Ecke ist übrigens Nordkorea schon lange drin, und die kommen da nur per Revolution wieder raus, das Propagandalügensystem wird nach einiger Zeit selbsterhaltend. Nazideutschland war auch so ein Fall, ebenso wie das deutsche Oberkommando im 1. Weltkrieg: Die haben sich alle so lange gegenseitig in die Tasche gelogen, bis sie selber geglaubt haben, dass ein Sieg unvermeidlich ist.)
"Warum hat der Kreml noch im März 2022 gesagt, es sei keine Invasion in die Ukraine geplant?"
Vielleicht hatten Sie darauf gewartet daß die Sache mit der NATO Mitgliedschaft noch vom tisch kommt?
März 2022 waren die Invasionsvorbereitungen praktisch abgeschlossen, da hat der Lawrow noch der Welt ins Gesicht gelogen, das sei nur eine große Übung, keine Invasion.
Wobei mich, wie gesagt, nicht so sehr stört, dass sie lügen.
Sondern, dass sie dazu übergegangen sind, auch absurde Lügen vorzutragen.
Sie haben da das Vertrauen in das jahrzehntelange vertragstreue Verhalten der Russen an einem Tag weggeschmissen, und das ist eine neue Realität, mit der man sich erstmal arrangieren muss.
Bedauerlicherweise ist das eine Realität, in der es keine Grundlage mehr gibt, auf der man mit Russland verhandeln könnte. Sie könnten jeden Vertrag jederzeit wieder brechen.
Aber was soll dieses Moralisieren wer wann gelogen hat? Damit können Sie doch niemandem mehr kommen. Tatsche ist daß Russland eine rote Linie aufgemacht hat, nicht wissend daß nur der Westen so etwas darf.
Russland hat immer nur seine eigenen Sicherheitsbedürfnisse vorgetragen.
Die Sicherheitsbedürfnisse der Ukraine haben die Russen immer ignoriert.
Klassischer Imperialismus halt, aber die Russen tun auch noch so, als wäre das völlig gerechtfertigt, die russische Welt sei dem dekadenten Westen so überlegen, dass sie das moralisch dürfen.
Klassischer kolonialer Imperialismus. Das ist einfach nur noch cringe.