Ziel des "Militäroperation" genannten russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine ist es, laut Putin, diese zu "entnazifizieren und entmilitarisieren". An diesen Formulierungen stimmt am ehesten noch das letzte Wort. Ansonsten ist alles falsch.
Naja, da gibt es schon klar extrem rechtsauslegende Gruppierungen, die direkt der Armee zugeordnet sind; etwa das Regiment ASOW, das sich in der Tradition des Regiments RONA sieht und einen bemerkenswerten Mann - und west-ukrainischen Nationalhelden - namens Bandera als Vorbild betrachtet. Und da gibt es reihenweise weitere rechtsauslegende Gruppierungen, wie etwa C14, die hierzulande ... nun ja, mindestens verboten wären. Und wir sollten nicht vergessen: Auch die Bundeswehr kennt diverse Probleme mit Rechtsauslegern. Um wie viel leichter ist es wohl in einer Armee, die vorgenannte Gruppierungen aktiv unterstützt, finanziert und ausrüstet?
Der gegenwärtige ukrainische Präsident Wolodimir Selenskyj ist jedenfalls demokratisch gewählt
Die Interpretation von "demokratischen Wahlen" ist ja bekanntlich ziemlich weit spannbar. Dass an diesen demokratischen Wahlen ganze Gruppen gar nicht teilnehmen durften/konnten/wollten, sich aber dem Ergebnis beugen sollen, sei also einfach mal dahingestellt.
Ebenso lassen wir dahingestellt, dass Selenskyis Partei "Diener des Volkes" dadurch auffiel, dass sie seit dem vergangenen Jahr Abgeordnete des ukrainischen Parlaments überwachen lässt, weil - und wenn - sie nicht mehr kadavergehorsam der von der Parteispitze vorgegebenen Parteilinie folgen mögen. Mir fiele da ein anderes Wort als "Demokratie" dafür ein.
Und wir lassen auch dahingestellt, dass bei den Lokalwahlen im darauffolgenden Jahr die "Diener des Volkes" eine Schlappe nach der anderen einstecken mussten, dass also Selenskyi schon seit 2020 bei Weitem nicht (mehr) die demokratische Unterstützung im Land hat, die der Westen gern suggerieren möchte.
Spannend dürfte aber durchaus in diesem Kontext sein, wer den Wahlkampf des Präsidenten maßgeblich finanziert hat. Das war ein bemerkenswerter Oligarch, der heute seinen Wohnsitz in Israel hat; und der auch schon mal seine Privatarmee(!) in Konzernzentralen schickt, wenn ihm (demokratische?) Gesetze nicht passen. So geschehen bei der Teil-Enteignung vorgeblich unrechtmäßig erworbener Unternehmen in der Ukraine (seinerzeit noch unter Poroschenko).
Analoge Gruppierungen gibt es allerdings auch in Russland.
Einmal vom klaren Whataboutism abgesehen: Sind diese "analogen Gruppierungen" auch Teil der regulären Armee, wie das ASOW-Bataillon? Werden sie auch vom Verteidigungsministerium finanziert und vom Staatsschutz geschützt, wie C14? (Und nein: Das sind keine rhetorischen Fragen.)
... und definitiv kein Nazi.
Falls man auf die übliche Symbolik abstellt, sicherlich nicht. Die fehlt. Falls man jedoch auf un- und sogar anti-demokratisches Gebaren abstellt: Das hat Selenskyi mehrfach, und immer wieder, unter Beweis gestellt: Da werden schon mal Erlasse am Parlament vorbei durch- und vom Nationalen Sicherheitsrat umgesetzt, da werden Abgeordnete der eigenen Partei auf Parteitreue überwacht, da werden russisch-sprachige Mitbürger per Gesetz derart diskriminiert, dass man sich an dunkle deutsche Zeiten erinnert fühlt (Sprachverbote, Berufsverbote, etc.), da werden oppositionelle oder auch nur dauerhaft kritische Medien par ordre du mufti kurzerhand verboten, ... kurz: da liegt durchaus eine bemerkenswert unheimliche Verwandtschaft im Geiste vor.
Und man kann sicherlich diskutieren, ob der Politik-Neuling Selenskyi sich dessen überhaupt in seiner Tragkraft bewusst ist (selbst mit allen Wassern gewaschene Berufspolitiker sind ja durchaus schon mal irritiert, was sie eigentlich angerichtet haben); oder ob sich aus dem Volkshelden nun ein kleiner Diktator, Autokrat oder einfach nur eine politische Marionette entwickelt (auch das wäre ja nichts Neues in der Weltgeschichte).
... es gäbe sicherlich noch einiges zum Artikel zu sagen; aber es ist auch so schon lang genug geworden.