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  • IngePaweltschik

231 Beiträge seit 17.02.2022

Chomsky Recht und Moral

Das Wichtigste ist, dass die russische Invasion in der Ukraine ein großes Kriegsverbrechen ist, das neben der US-Invasion im Irak und der Hitler-Stalin-Invasion in Polen im September 1939 rangiert, um nur zwei bedeutende Beispiele zu nennen. Es macht immer Sinn, nach Erklärungen zu suchen, aber es gibt keine Rechtfertigung, keine mildernden Umstände.

Chomsky wirft sich hier in die Pose des ideellen Richters über die kriegerischen Händel in der Welt, indem er Verdikte wie "Verbrechen ohne mildernde Umstände" von sich gibt. Nun gibt es einen entscheidenden Unterschied zwischen den moralischen Urteilssprüchen Marke Chomsky und der gleichlautenden Verurteilung durch ein Gericht:

Verbrechen und Vergehen
(1) Verbrechen sind rechtswidrige Taten, die im Mindestmaß mit Freiheitsstrafe von einem Jahr oder darüber bedroht sind.
(2) Vergehen sind rechtswidrige Taten, die im Mindestmaß mit einer geringeren Freiheitsstrafe oder die mit Geldstrafe bedroht sind.
(3) Schärfungen oder Milderungen, die nach den Vorschriften des Allgemeinen Teils oder für besonders schwere oder minder schwere Fälle vorgesehen sind, bleiben für die Einteilung außer Betracht.

(§12 StGB)

Wenn also ein Gericht zu dem Schluss kommt jemand habe ein Verbrechen verübt, dann wird der mit Freiheitsstrafe (der für diesen Fall festgesetzten Zwangsmaßnahme) belegt. Dem kann man entnehmen, was Recht ist und wie es tatsächlich funktioniert. Eine öffentliche Gewalt (ein Staat) verleiht ihren Zwecken eine prinzipielle Form (Recht) und subsumiert die Gesellschaft als Fall dieses Rechts unter diese Zwecke (die darin bestehen die Gesellschaft als Ganzes nach staatlichen Gesichtspunkten funktionieren zu lassen). Deshalb bannt sie bestimmte Handlungen wie manche Tötungsdelikte als Verbrechen und sortiert die betreffenden Täter befristet aus der Gesellschaft aus, indem sie sie mit Freiheitsstrafen belegt.
Wenn Chomsky (und viele andere in den Diskussionen über diesen Krieg, insbesondere die Kriegsparteien und ihre Unterstützer) sich im Geiste zum Richter über das Hauen und Stechen erhebt und urteilt, dass da ein Verbrechen vorläge, wo ist dann die Gewalt, der "Weltstaat", der aus diesem Urteilsspruch rechtliche Sanktionen folgen lässt und die Russen oder die USA für ihre Kriege einbuchtet? Dass es sowas in der Welt nicht gibt kennzeichnet Chomskys geistige Übung, in der er die Perspektive des Weltenrichters einnimmt als etwas anderes als einen Rechtsspruch, nämlich als Moral bzw. als moralisches Verdikt. Moral ist also ein Rechtsbewusstsein, das aus lauter Rechten besteht, die man sich nur einbildet. Mit einem moralischen Bewusstsein gibt man deshalb zu Protokoll, dass man dem Umstand, dass die Gewalt rechtsförmig verläuft viel abgewinnen kann, mit dem tatsächlich geltenden Recht aber nicht ganz einverstanden ist und sich deshalb seine eigenen Rechtsgrundsätze einbildet. Ein moralisch denkender Mensch unterwirft dabei nicht nur die Welt, sondern das Recht selbst seinem in gewisser Weise größenwahnsinnigen Standpunkt und attestiert dem Recht selbst eine moralische Güteklasse. Aus der Position des moralischen Weltbeobachters und Richters ist das Entscheidende an allen Dingen, wie sie sich zu seinen rechtsförmigen Einbildungen verhalten und so kommen Leute, die in der Sache einem Recht unterworfen sind dazu sich über die Welt als ihre ideellen Richter zu erheben. Knechte laufen als idelle Herren durch die Welt! Das ist ganz offensichtlich eine ziemlich fruchtlose Übung hinsichtlich der Frage, was denn tatsächlich gilt. Da gilt immer das, was eine Gewalt gültig setzt.

Nun könnte man auf die Idee kommen, dass der Krieg Russlands in der Ukraine doch nach dem Völkerrecht ein Verbrechen- und das doch ein Recht und keine Moral sei. Nun: Die Bezeichnung macht aus etwas, das sich Recht nennt noch kein Recht, sondern dass daraus ein Recht wird liegt eben an der Gewalt, die es gültig setzen muss und diesen Krieg dann unter den Rechtsspruch, dass er ein Verbrechen sei subsumieren muss. Welche Gewalt steht also über den USA und Russland, die über ihre Kriege das Verdikt "Verbrechen" fällen könnte? Antwort: Keine! Und solange dieser Zustand gilt, ist das Völkerrecht auch nur eine Moral, mit der beide Seiten ihre gegensätzlichen Standpunkte als rechtmäßig legitimieren. Das Völkerrecht ist aber im Unterschied zur Tugendsammlung des Normalbürgers, der er vieleicht mal mit Gewalt gegen seine Nächsten den Charakter eines Rechts verschafft eine besondere Moral bzw. auch ein besonderes Recht. Die Gewalt, die zur Durchsetzung des Völkerrechts notwendig wäre wird nämlich von den Subjekten gestiftet, die zugleich die Objekte dieses Rechts sind, nämlich den Staaten. Ein Krieg wird also rechtlich zu einem Verbrechen, wenn die unterlegene Seite in ihm durch die Sieger nach Völkerrecht abgeurteilt wird. Ob dieser Krieg dann nach geltendem Recht ein Verbrechen ist oder nicht, hängt demzufolge ganz an seinem Ausgang. Darin hat das Völkerrecht den Charakter des mittelalterlichen Fehderechts und seine Geltung oder nicht ist eine Frage der Mobilisierung von (staatlicher) Gewalt, die ihm Gültigkeit verleiht (oder nicht). Es begleitet die Kriege, in denen mit der Frage, welche Gewalt sich durchsetzt eben auch die Frage ausgefochten wird ob und wie das Völkerrecht gilt.

Wenn man nun noch bevor der Krieg entschieden ist das Völkerrecht so auslegt, dass eine Seite ein Verbrechen verüben würde, dann ist das schlicht und ergreifend eine parteiliche Übung, da man ja ideell Sieg und Niederlage im Krieg vorwegnimmt. Z.B. hat sich auch Russland zur Frage des Angriffskrieges (der als Verbrechen gilt) geäußert und für sich Rechtsgüter beansprucht, die dieses Urteil nicht rechtfertigen und es ist haltlos diese Rechtsgüter bestreiten zu wollen (wie auch den umgekehrten Standpunkt, dass der Krieg ein Angriffskrieg sei). Denn was am Ende gilt - und ob überhaupt ein einheitlicher Standpunkt zustande kommt - hängt ja am Ausgang des Krieges!

Das Posting wurde vom Benutzer editiert (12.04.2022 10:56).

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