fuckup2 schrieb am 05.06.2024 22:58:
Axel Farr schrieb am 05.06.2024 22:07:
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Der Westen muss sich überlegen, wie er mit diesem Krieg vor seiner Haustür in der Zukunft umgehen will. Ein "weiter so" wird nicht unbegrenzt funktionieren. Die Waffenlieferungen langsam auslaufen zu lassen wäre vor allem für die Ukrainer die seit 2 Jahren verbissen kämpfen wie ein Schlag ins Genick. Im jetzigen Maß die Waffen weiter liefern würde aber auch nur bedeuten, dass man den Krieg "so laufen" lässt. Ich weiß nicht, ob der Westen dann in 2 Jahren den 1. Millionsten Russischen Verlust feiern will.Feiern? Wollen?
Das bezog sich primär darauf, dass viele hier im Westen meinen "naja, wir unterstützen die Ukraine zwar, und sie ist ja auch im Recht - aber bitte stört mein geruhsames Leben nicht mit weiteren Details".
Von Kritikern der Unterstützung für die Ukraine wird oft der Punkt genannt, dass vor allem die NATO-Staaten zwar die Ukraine sehr massiv unterstützen - man aber sehr schmallippig wird, wenn nach dem Ziel der Unterstützung gefragt wird. So als ob der Westen bei dieser Unterstützung kein Ziel hätte.
Russland richtet seine gesamte Wirtschaft auf den Krieg aus. Dabei wird maximal auf Verschleiss gefahren. Läuft der Krieg noch fünf Jahre, so wird Russland ausgehöhlt kollabieren. All-in.
Nein, nicht die ganze Wirtschaft. Vor allem aber wird die Rüstungsindustrie ganz massiv durch den Krieg eingespannt. Bis hin zu einem Punkt, wo vor allen Dingen Facharbeiter fehlen bzw. von anderen Bereichen in die Rüstungsindustrie abgewandert sind.
Was Russland vor allem zu schaffen machen wird sind die extrem hohen menschlichen Verluste. Es wurde bereits mehrfach berichtet, dass Russland die Soldaten, die nach einem Angriff nicht zurückkommen nach einiger Zeit zwar aus den Gehaltslisten streicht, aber ohne Leiche auch den Soldaten nicht als Verlust nach Hause meldet.
Trotzdem ist das ein Mensch, der dann seine Arbeit nicht mehr machen kann - weder im Militär noch im zivilen Leben.
Das und die Strategie, die zu einem beträchtlichen Teil noch aus der Sowjetzeit stammende Infrastruktur "auf Verschleiß" zu fahren wird sich allerdings dramatisch rächen - der Lebensstandard vor allem in den ländlichen Gebieten Russlands ist seit Kriegsbeginn schon gesunken, das wird sich weiter fortsetzen. Dass Russland dadurch in fünf Jahren kolabieren wird glaube ich nicht.
Ich würde nicht darauf wetten, dass der Krieg in der Ukraine bleibt. Die Wette Russlands geht genau nur dann auf, wenn der Krieg weiter zieht.Eben dann ist der Weg frei, dass China seine Beute machen kann.
Die Wette Putins war, dass die Ukraine nach drei Tagen kapituliert. Da wird leider nichts mehr aufgehen.
Nicht nur der Westen hat bisher nur sehr schmallippig auf die Frage nach dem Ziel bei der Unterstützung der Ukraine reagiert, bei Russland ist man da genauso diffus: Es werden immer nur abstrakt "Denazifizierung und Entmilitarisierung" der Ukraine genannt, immerhin hat man durch Pseudo-Referenden jetzt schon mal Fakten geschaffen und sich einige Teile der Ukraine unter den Nagel gerissen. Schaut man strategisch, dann reicht das aber noch nicht, da mindestens noch Charkiw, Dnjepropetrowsk, Mykolajiw und Odessa fehlen. Erst wenn Russland die auch noch vereinahmt hat sind die aus Moskauer Sicht primär russischsprachigen Oblaste der Ukraine vereinamt. Dnjepropetrowsk ist für den Donbas essentiell, denn von dort kam klassisch das Eisenerz, das im Donbas verhüttet wurde.
Russland kann also noch eine Weile Krieg führen. Gleichzeitig haben die "Referenden" in den besetzen Gebieten aber auch deutlich gemacht, dass Russland eben einen Krieg primär aus dem Grund führt dass es Land (und Menschen sowie Industrie) dazugewinnen möchte. Der Krieg ist also klassisch als Eroberungskrieg geführt worden - ein klarer Verstoß gegen alles, wofür die UN steht. Man hätte einfach mal so Russland komplett suspendieren sollen - dabeisitzen dürft Ihr meinetwegen noch, aber Wortmeldungen und Abstimmungen sind Euch verboten, bis Ihr Euch eines besseren Besinnt und dem Krieg abschwört.
Die politischen Reaktionen aus Russland auf Entscheidungen zur Waffenlieferung und zur Unterstützung der Ukraine lassen deutlich erkennen, dass beides den Russen weh tut. Es hat aber noch keinen Schlag gereicht, dass Russland auch nur einen kleinen Hauch Anbstand von seinen Kriegszielen genommen hat.
Wenn Russland einknickt, ist Russland reif für den nächsten Zerfall.
Putin hat nicht nur die phantastischen Panzerarmeen der Sowjets gestohlen, Putin hat nicht nur mehr als eintausend Milliarden Dollar gestohlen, Putin hat vor allem eine Generation und damit die Zukunft Russlands gestohlen.
Ich denke dass der Westen da mehr als bereit wäre, Russland goldene Brücken zu bauen. Was viele der Leute, die hier posten und mich ständig rot machen nicht verstehen ist nämlich, dass der Westen kein Interesse an einem Zerfall Russlands hat. Warum sonst hat man darauf verzichtet, westliche Truppen VOR dem Krieg in die Ukraine zu schicken? Warum hat man bis heute noch wo es möglich ist Kommunikationskanäle nach Russland offen gehalten?
Die ganze Welt hat die Luft angehalten, als Prigoschin mit einem kleinen Teil seiner Privatarmee von Rostow am Don Richtung Moskau aufgebrochen ist. Jeder hat darauf gehofft, dass Putin kapiert dass dieser Krieg es war, der seinen besten Soldaten gegen ihn aufgebracht hat. Leider war das nicht der Fall, Putin hat sich nur eine weitere Teufelei ausgedacht um den dann als hochgefährlich eingestuften Prigoschin kaltzustellen und dann zu beseitigen.
Nach meiner Auffassung ist es diese Angst vor einem Bürgerkrieg in Russland, der es für den Westen so schwierig macht, ein klares Ziel zu nennen. Das Ziel heißt offiziell dass die Unversehrtheit der Ukraine wiederhergestellt werden soll. Unmittelbar nach Kriegsbeginn hätte das auch bedeuten können, dass sich der Westen mit einer Ukraine unter russischer Kontrolle hätte abfinden können - ähnlich wie das mit Weißrussland der Fall ist. Pech für Russland war, dass sich die Ukrainer nicht damit abfinden wollten. Russland hätte da noch rasch einlenken können, der Knall kam denke ich auch in Moskau an (so tattrig wie damals Putin und Schoigu taten), aber anstatt die Propagandamaschine anzuwerfen, den großen Sieg zu verkünden und sich nach einem großzügegen Friedensangebot an die Ukraine zurückzuziehen wollten Sie leider Ihr Ding weiter durchziehen.
Würde der Westen die Ukraine so unterstützen wie er es könnte dann wäre der Krieg vermutlich schon längst vorbei. Ich sehe die große Gefahr, dass der Westen die Ukraine weiter so unterstützt, dass sie den Krieg nicht verliert - damit aber sehenden Auges in Kauf nimmt, dass der Krieg noch Jahre weiter läuft. Russland so zu bekämpfen wie 1939 - 1945 die Nazis in Berlin bekämpft wurden verbietet sich wegen des dann sicheren Atomkriegs. Aber der Westen hat es nicht geschafft, die Ukraine ausreichend zu unterstützen, um den Krieg schon 2023 so weit zu bekommen, dass Russland weite Teile des eroberten Landes hätte abgeben müssen - und der Westen hat trotz deutlicher Warnungen aus der Ukraine völlig tatenlos zugesehen, wie die russische Armee ab Herbst 2023 zunächst wieder die materielle Überlegenheit und danach auch die taktische Überlegenheit auf dem Schlachtfeld an sich gerissen hat.
Für eine Nachkriegsära besonders dämlich war es, dass der Westen nach der russischen Zerstörung des Kachowka-Staudamms auch noch zugelassen hat, dass Russland sämtliche Kraftwerksanlagen der Ukraine (mit Ausnahme der Atomkraftwerke) zerstört - während hierzulande eine völlig sinnlose Diskussion darüber tobte, ob und warum nicht man der Ukraine die Taurus-Marschflugkörper liefern sollte.
Immerhin hat Biden sich heute bei Selenski für den fünfmonatigen Ausfall der Waffenlieferungen entschuldig: Dass der Verlust von Land und Menschen auf das Konto der mangelnden Unterstützung der Amerikaner gehen.