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mehr als 1000 Beiträge seit 01.12.2023

Weißer Frieden: Status Quo ist zum Nachteil der Ukraine.

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Ein "neutraler" Blick auf die Sachlage
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Ja, es wäre schön, wenn der Krieg enden würde und damit auch das Sterben. Dann könnte man mit dem Aufbau anfangen. Aber die Prämisse des Artikels ist falsch. Hier wird davon ausgegangen, dass die zu Trümmern geschossene Ostukraine für Russland eine Bürde, kein Gewinn darstellt. Aber gerade das ist falsch: gerade in der Ostukraine finden sich viele strategisch wertvolle Ressourcenvorkommen, die jetzt der Ukraine fehlen. Sowohl die mittlere wie die westliche Ukraine sind ressourcenarm und lebt größtenteils von der Landwirtschaft.
Für Russland ist zudem ein solcher "Weißer Frieden" praktisch ein Sieg. Denn alle relevanten Ziele wurden ja erreicht, dazu zählen u.a. die Sicherung der Krim (u.a. über den Wiederaufbau der strategisch wichtigen Stadt Mariupol) aber auch die Einnahme der Ostukraine.
Für die Ukraine ist es dagegen eine klare Niederlage, würde sie dem aktuellen Status Quo Frieden zustimmen.

In Kiew mag man ja die reale Situation verkennen, der Wunsch nach einer intakten Ukraine ist aber nachvollziehbar. Die Grenzen von 1991 umfassen eben die Ostukraine und die Krim. Unabhängig davon, wer die Forderungen stellt, auch das Völkerrecht gibt dem ukrainischen Wunsch Recht, da hier durch den Krieg Grenzen verändert und Teile der Bevölkerung vertrieben worden sind. Allerdings sei auch zu berücksichtigen, dass vor Einmarsch der Russen das Land sich in ethnischen Unruhen befand und lange vor Kriegsbeginn eine stark feindselige Stimmung gegen russischstämmige Ukrainer aufgebaut worden ist.

Als "Vorbild" die Teilung Koreas in Nord- und Südkorea zu nennen halte ich nicht nur für zynisch, sondern auch für faktisch falsch. Hier stehen sich zwei völlig verfeindete Systeme gegenüber. Nordkorea ist zudem praktisch international isoliert, selbst "freundliche" Staaten halten sich vornehm zurück gegenüber Nordkorea. Im Falle der Ostukraine wird das keinesfalls so sein: Russland wird die Ressourcen zum Wiederaufbau bereitstellen und das ganze als "Reparationsleistungen" deklarieren. Zugleich werden staatlich kontrollierte Unternehmen die Ressourcen des Landes erschließen. Die "Hoffnung", dass die Ostukraine also eine massive Bürde für Russland sein wird, entbehrt jeder Grundlage.
Zugleich muss vor allen Dingen die EU tief in die Tasche greifen, um der Restukraine wieder auf die Beine zu helfen: die Wirtschaft ist ein Totalschaden und die mittlere Ukraine größtenteils durch die Kampfhandlungen geschädigt. Im Grunde herrscht hier die gleiche Situation wie östlich der Frontlinie.

Last but not least ist zweifelhaft, ob es auf Dauer eine Entspannung zwischen der Ukraine und Russland geben wird. Zwar heilt die Zeit bekanntlich alle Wunden, aber Vergleiche mit USA und Kanada oder der Teilung Deutschlands halte ich für unsinnig. Immerhin haben wieder USA noch Kanada Kriege gegeneinander geführt, noch gab es Kampfhandlungen zwischen der BRD und der DDR. Die Wiedervereinigung Deutschlands war u.a. auch nur möglich, weil aus dem kalten Krieg kein heißer Krieg geworden ist und die initiale Frontlinie eben deckungsleich auf der Grenze zwischen den beiden Staaten gelegen hätte.

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Was wäre also eine brauchbare diplomatische Lösung?
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Russland MUSS die Ostukraine räumen. Hier gehört eine DMZ eingerichtet, d.h. auch die Ukraine darf keine Truppen entsenden. Der Wiederaufbau der von den Kampfhandlungen geschädigten Teile der Ukraine muss durch Mittel aus Russland und der EU finanziert werden; die Ukraine ist nicht in der Lage, mit eigenenen Mitteln diese Aufgabe zu stemmen.

Die Menschen in der Ostukraine sollten in freien, unabhängigen und von der UN beobachteten, durch Blauhelme abgesicherte Wahlen entscheiden können, ob sie:
-> in der Ukraine verbleiben wollen
-> sich autonom verwalten und in der Ukraine verbleiben (Bundesstaatenlösung)
-> unabhängig werden von der Ukraine, ohne sich Russland anzuschließen
-> sich autonom verwalten und Russland anschließen wollen
-> sich Russland anschließen wollen

Denn nur diese Möglichkeiten sind gegeben. Dabei ist klar: sollten die Ostukrainer sich für die dritte Lösung (vollständige Unabhängigkeit) entscheiden, müssen sowohl Kiew als auch Moskau eine Unabhängigkeitsgarantieerklärung abgeben, dass beide Seiten die Entscheidung akzeptieren und nicht versuchen werden, die Ostukraine über andere Wege einverleiben wollen.

Die Abstimmung selbst sollte allerdings erst NACH Wiederaufbau der Ostukraine stattfinden. Bis dahin ist die Ostukraine ein unter internationale Verwaltung gestellte Entität (quasi "UN-Besatzung"). Damit ist klar, das frühestens in fünf bis zehn Jahren eine Abstimmung stattfinden kann.

Reparationszahlungen und Wiederaufbauhilfen sollten ebenfalls geklärt werden, ebenso die Frage, ob gemeinschaftlich Soldatenfriedhöfe unterhalten werden sollen. Vorbild hier: die deutsch-russischen Soldatenfriedhöfe des 2. Weltkriegs, die einen wichtigen Teil des Versöhnungsprozesses darstellen.

Als Verhandlungshebel zugunsten der Ukraine (damit sie sich überhaupt durchsetzen kann angesichts der aktuellen Lage) wäre die Frage der NATO-Mitgliedschaft und was mit den Angehörigen der paramilitärischen Einheiten des "Rechten Sektors" geschehen sollte (Demilitarisierung wäre ein Anfang). Außerdem sollten die PMCs auf beiden Seiten auf Kriegsverbrechen abgeklopft werden und im jeweils anderen Land juristisch verfolgt werden. Die Angehörigen der PMC Wagner müssten sich also vor einem ukrainischen Gericht verantworten, die für die Ukraine kämpfenden PMCs dagegen vor einem russischen Gericht. Hier ist das Kriegsrecht entscheident: Söldner sind keine eidpflichtigen Soldaten und damit keine Kombatanten, sondern Zivilisten. Dies gereicht ihnen zum Nachteil, da sie effektiv mit jedem erschossenen feindlichen Soldaten oder Zivilisten Mord oder Totschlag begangen haben. Dafür müssten sie sich verantworten.

Ausgeklammert gehört für mich die Krimfrage. Die gehört separat behandelt.

Das Posting wurde vom Benutzer editiert (10.04.2024 02:06).

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