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  • Pnyx (1)

mehr als 1000 Beiträge seit 01.07.2017

Entflechtung

"Es gibt keinen Krieg, der ein Holocaust ist und keinen Krieg, der wie ein Holocaust ist", fügte er an. Bennett bekräftigte auch, dass die Benutzung des Holocaust "als politischer Rammbock umgehend gestoppt werden muss".

Lawrow hat auch nichts von Holocaust gesagt. Zumindest nicht in dem im Artikel zitierten Satz, den man allerdings schon als antisemitische Entgleisung werten muss. Ich gehe zwar mit ihm einig, dass der Umstand, dass Selenski ein Jude ist, nichts darüber aussagt, ob es in der Ukraine Faschisten gibt oder nicht. Ich verstehe auch, dass er sich über dieses Pseudoargument ärgert, weil er wohl Faschismus und damit auch Nazismus nicht so verengt sieht, wie es leider in Europa und speziell auch in Deutschland getan wird. Faschismus definiert sich nicht einzig und allein über rabiaten Antisemitismus, im Gegenteil ist dieser sogar akzidentell und kann z. B. durch Islamophobie ersetzt werden. Definierend ist nicht der Hass auf die eine spezielle Religion oder Etnie, sondern das dahinterstehende rassistische oder in neuerer Zeit auch kulturalistische Sündenbockdenken.

Allerdings reicht auch das bei weitem nicht für eine Definition aus. Der Faschismus ist eine ganze politische Ideologie, neben völkisch-radikalnationalistischem Denken gehört auch ein schrankenloser Autoritarismus, folglich die Verachtung demokratischer politischer Organisation, mit allem, was dazugehört, etwa Meinungsfreiheit, bis hin zur völligen Verfügbarmachung des Lebens, allgemein die Unterstellung gesellschaftlicher Interessengruppen, auch wirtschaftlicher, unter das absolute Primat des Staates, entsprechend auch im Privaten ausgeprägt patriarchale Vorstellungen mit starrer Rollenverteilung der Geschlechter.

Es gibt auch heute viele Staaten, denen das eine oder andere oder auch mehrere faschistische Charakterzüge eignet, die man deshalb aber noch nicht umstandslos als faschistische bezeichnen kann. Und ich verstehe auch die russische Rede von der Entnazifizierung der Ukraine nicht in dem Sinn, dass damit gesagt wäre, das ukrainische Regierungssystem sei als ganzes faschistisch. Vielmehr geht es um die seit 2014 nach und nach in die Armee eingegliederten Freicorps, die eindeutig eine faschistische Ideologie vertreten, etwa das Asow-Regiment. Dies wurde bis vor nicht allzu langer Zeit auch in westlichen Medien deutlich so benannt. So z. B. in der New York Times, die am 15.3.19 in einem Artikel das "Asow-Regiment, eine ukrainische paramilitärische Neonazi-Organisation" erwähnt, (www.nytimes.com/2019/03/15/world/asia/christchurch-mass-shooting-extremism.html) die zu diesem Zeitpunkt allerdings längst in die ukrainische Armee integriert war und nachweislich von Militärs aus nato-Staaten weiter ausgebildet wurde.

In der ukrainischen Armee gibt es weitere rechtsextreme Organisationen, die alle zusammen auch im zivilen Staat einen immer grösseren Einfluss erhielten, der so weit ging, dass ein Asow-Vertreter in einem Interview kurz nach den letzten Präsidentschaftswahlen explizit davon sprach, Selenski werde an einem Baum in der Soundso-Allee enden, sollte er versuchen, sich mit Russland zu verständigen. Bezeichnenderweise musste Selenski den Innnenminister von der Vorgängerregierung übernehmen. Dieser fungierte wohl als eine Art Aufpasser.

Lawrows auf das Jüdisch-Sein des Präsidenten bezogene Interview-Aussage ist gewiss ein Fehltritt und im Kern antisemitisch. Sie ist ein Hinweis auf, aber kein Beweis für seine generelle Einstellung. Das ändert aber nichts daran, dass die russische Rede von der Entnazifizierung durchaus ihre Berechtigung hat. Das Abstreiten der Existenz faschistischer Elemente im ukrainischen Staat seitens der West-Presse führt sich, schaut man in die Archive, selbst ad absurdum. Kriegslügen eben.

Das Posting wurde vom Benutzer editiert (03.05.2022 04:12).

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