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  • auf_der_hut

mehr als 1000 Beiträge seit 07.05.2008

Re: "Siegfrieden ohne Verhandlungen?"

"Der Eroberer ist immer friedliebend (wie Bonaparte auch stets behauptet hat), er zöge ganz gern ruhig in unseren Staat ein." (Clausewitz, vom Kriege).

Diese ironische Bemerkung von Clausewitz wird von den russophilen "Friedensfreunden" gerne in vollem Ernst wiederholt. In dieser Logik ist es immer der Verteidiger, der ein Interesse am Fortgang des Krieges hat, denn er müsste die Wegnahme ja nur hinnehmen und dann wäre wieder Ruhe. Vorläufig jedenfalls.

"Diese doppelte Art des Krieges ist nämlich diejenige, wo der Zweck das Niederwerfen des Gegners ist, sei es, daß man ihn politisch vernichten oder bloß wehrlos machen und also zu jedem beliebigen Frieden zwingen will, und diejenige, wo man bloß
an den Grenzen seines Reiches einige Eroberungen machen will, sei es, um sie zu behalten, oder um sie als nützliches Tauschmittel beim Frieden geltend zu machen. Die Übergänge von einer Art in die andere müssen freilich bestehenbleiben, aber die ganz verschiedene Natur beider Bestrebungen muß überall durchgreifen und das
Unverträgliche voneinander sondern." (Clausewitz, Vom Kriege, Vorbemerkungen)

Hier verläuft auch heute noch genau die Trennlinie zwischen "Bellizisten" und "Pazifisten": erstere erkennen im russischen Einmarsch einen Vernichtungskrieg, der die Ukraine politisch enthaupten, wehrlos machen und letztlich von der Landkarte tilgen soll. Beispiele dafür wären die deutschen Feldzüge gegen Polen und Russland im 2. Weltkrieg. Hier vom Verteidiger Verhandlungen und Nachgiebigkeit zu fordern ist absurd.

Die "Pazifisten" glauben an einen Tauschhandel, wo die Ukraine auf einen Teil ihres Territoriums verzichtet, aber zwar verkleinert, aber ansonsten unbehelligt weiter existieren kann. Sie versuchen diese Teilung gerne als "natürlichen" Prozess entlang kultureller, sprachlicher und ethnischer Grenzen darzustellen. Die bisher multiethnischen Ukraine zerfiele in einen russischen und einen ukrainischen Teil, selbstverständlich mit unzähligen Streit- und Grenzfällen, die unweigerlich die nächsten Konflikte nach sich ziehen. Deren Ausgang stünde allerdings angesichts der angestrebten "Demilitarisierung" der Ukraine von vorneherein fest. Überall wo Russen leben ist dann Russland. Die Parallele zur Beseitigung der Tschechoslowakei und zum "Münchener Abkommen" von 1938 drängt sich auf.

Die Vorstellung, Russland könnte als erfolgreicher Eroberer an einem Verhandlungstisch sitzen und seine Kriegsgewinne einfahren, ist aus der Zeit gefallen. Seit dem 2. Weltkrieg und der UNO-Charta gilt ein Angriffskrieg als Verstoß gegen das Völkerrecht und nicht mehr (wie noch bei Clausewitz) als legitime "Forstsetzung der Politik". Zur Erosion dieser Regel hat sicherlich auch der Westen durch teilweise unüberlegte Interventionen beigetragen, aber was sollte im Zeitalter von Atomwaffen an deren Stelle treten? Russland hat selbst den nuklearen Joker in den Ukrainekrieg eingeführt und damit klar gemacht, dass es gar nicht verlieren kann.

Damit werden weitaus grundsätzlichere Fragen aufgeworfen. Wie können die Nuklearmächte überhaupt auf Regeln verpflichtet werden? Welches Interesse haben sie an Regeln, die ggf. ihre Handlungsfreiheit einschränken? Wie müssten diese Regeln aussehen? Wie kann eine "amoklaufende" Atommacht eingefangen werden?

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