Um das eigene Narrativ zu rechtfertigen, ist das Weglassen von Fakten das wohl derzeit wichtigste rhetorische Rüstzeug.
Häufig machen wir Menschen das auch, weil wir kognitiv einfach nicht im Stande sind, alle relevanten Fakten zu einem Thema zu überblicken und zu einem (dann sehr umfangreichen) Bild zusammenzufassen. Dafür ist die Welt und die Informationen in ihr zu komplex. William Blake beschrieb diese erdrückende Informationsvielfalt als Unendlichkeit, die man sogar in einem Sandkorn erblicken könne. Vereinfachungen, Stereotype, Vorurteile - alles überlebenswichtig für uns, sonst wäre die Welt in seiner Immanenz wohl viel zu komplex.
Aber natürlich, wir vereinfachen uns die Welt auch, indem wir Fakten einfach bewusst weglassen, wie es in dem Faktenfinder-Beispiel des ARD eindeutig der Fall ist. Ansonsten müsste das eigene Narrativ und damit zusammenhängende Weltbild korrigiert werden, und das machen wir nur sehr ungern - speziell wenn wir dieses Narrativ mit unseren ethischen Normen verknüpfen.
Oder wir kennen die Komplexität der Fakten und lassen diese bewusst für unser Publikum weg. Dann, fürchte ich, muss man sich aber auch gefallen lassen, als propagandistisches Medium bezeichnet zu werden. Und diese Rolle füllen die Öffentlich-Rechtlichen derzeit stringend aus.
Schade. Dabei könnte man so schön die Versäumnisse aller beteiligten Akteure beim Zustandekommen dieses Konfliktes darstellen und das Ganze durch eine multiperspektivische Linse betrachten. Vielleicht würden die Medien so sogar minimal zur Beendigung des Konfliktes beitragen. Wahrscheinlich träume ich aber auch nur wieder :).
Unabhängig von den Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine vom März und April 2022, kann ich zur allgemeinen Auseinandersetzung zwischen der NATO und Russland in den letzten drei Jahzehnten nur jedem das Buch "Not One Inch" von Mary Sarotte empfehlen. Ein dichteres, nuancierteres und derartig fundiertes Buch, das die makroskopische Vorgeschichte des Ukraine-Krieges derart detailliert nachzeichnet, gibt es meines Erachtens nach nicht. Es zeigt recht anschaulich auf, dass sowohl die NATO als auch Russland es versäumt haben, nach 1990 in beiderseitigem Interesse eine solide Sicherheirsarchitektur in Europa aufzubauen, die den Sicherheitsinteressen aller beteiligten Akteure/Staaten gerecht wurde.
Ein Klassiker der Menschheitsgeschichte - das Kind muss immer erst in den Brunnen gefallen sein, ehe wir uns Gedanken darüber machen, wie man das Erdloch kindergerecht sichern könnte.