someone-else schrieb am 21.06.2024 10:09:
Mearsheimer im September 2015:
Wenn Sie Russland wirklich zerstören wollen, sollten Sie es ermutigen, die Ukraine zu erobern. Putin ist viel zu klug, um das zu versuchen.
Doch kein "Putinversteher"? Inzwischen rechnet er mit einem "hässlichen Sieg" der Russen, womit er wohl die großflächige Zerstörung ganzer Landstriche meint.
Seine Lösung? Die Ukraine müsse die Rolle des Puffers oder der Brücke akzeptieren, die ihr durch ihre geostrategische Situation vorgegeben sei. Nach Mearsheimer müssen schwächere Staaten ihre Souveränität zugunsten der Sicherheitsanforderungen ihrer mächtigen Nachbarländer aufgeben. Nennt sich "Neorealismus". Dieser steht dem Freiheits- und Selbstbestimmungsrecht aller Völker diametral entgegen, was inneren Frieden mehr oder weniger ausschließt. Hegemonie ist meist nur durch gewaltsame Unterdrückung möglich. Eine sehr dystropische Zukunftsperspektive.
Die Ukraine hatte eine wunderbare Lage zwischen den beiden ehemals (und wieder) verfeindeten Blöcken. Schwerindustrie, Ressourcen, eine Riege von Experten im Maschinenbau und der Informatik, die das Land aus der Zeit der Sovietunion übernommen hat. Die Ukraine war zu Zeiten der UdSSR eine der reichsten und gepflegtesten Republiken, auch wenn die neue Geschichtsschreibung das gerne unter den Teppich kehren möchte.
Das Land hätte beide Seiten zu seinem Gunsten nutzen können. Die sprachliche und kulturelle Nähe zu Russland sowie alte Handelsbeziehungen, günstiger Zugang zu Gas und Öl und die geographische Nähe zu europäischen Ländern mit hochentwickelten neuen Industrien. Man hätte von beiden Seiten profitieren können und sich auf keine Seite schlagen müssen.
Das wäre in meiner Wahrnehmung eine konstruktivere Definition von Souveränität als dass, was Anfang der neunziger mit dem Nationalismus aufgeflammt ist und der Ohnmacht sich von Opportunisten und Oligarchen in der Regierung zu befreien.