auf_der_hut schrieb am 22.06.2024 13:33:
Putin verlangt aber als Gegenleistung für einen Waffenstillstand die "Anerkennung der Realitäten" und einen Truppenabzug der Ukraine aus den von Russland annektierten (aber nicht vollständig kontrollierten) Gebieten plus den zwangsweisen Verzicht auf die NATO-Mitgliedschaft für alle Zeiten. Letztlich läuft es immer auf das gleiche hinaus: die Ukraine soll mit Territorium und Zugeständnissen für etwas bezahlen, was ihr völkerrechtlich zweifelsfrei zusteht, nämlich nicht weiter durch ihr Nachbarland angegriffen zu werden.
Ihr Konzept (Einfrieren bis in Russland wieder gemäßigte Kräfte an die Regierung kommen) hätte viel für sich, wenn es einfach nur darum ginge, dass über den besetzten Gebieten eine andere Fahne weht. Das ist aber nicht der Fall, das ist ein massiver Systemwechsel von einer zwar noch unfertigen Demokratie in eine repressive Autokratie mit mafiösen Zügen. Das Leben unter russischer Besatzung geht für die Ukrainer (und das ist in den meisten der besetzten Gebiete noch immer die Mehrheit) mit massiven Einschränkungen ihrer bürgerlichen Rechte, Einschüchterung und russischen Kriegsverbrechen einher, die über das aus Russland schon gewohnte, erhebliche Level an Repression noch weit hinaus gehen (siehe einschlägige OHCR-Berichte). Diesen Menschen kann wohl kaum zugemutet werden, dass sie auf die vage Möglichkeit von Reformen in Russland hoffen sollen (auf die derzeit nichts hindeutet), während die Russen weiter Fakten schaffen. Ebenso wenig wie der großen Zahl von Binnen- und Auslandsflüchtlingen, die sehnsüchtig auf eine Rückkehr in ihre Heimat warten, wie ramponiert sie auch immer sein mag.
Der Begriff "Sieg" soll die simple Wiederherstellung des Rechts als anrüchig und aggressiv erscheinen lassen. Das ist eine Verdrehung der Fakten. Die Ukraine verlangt nichts, was ihr nicht gemäß mindestens eines halben Dutzends von Russland unterschriebener Abkommen zusteht: territoriale Integrität und Bündnisfreiheit.
Sie haben in Ihrer Betrachtungsweise durchaus recht. Der Ukraine steht die eigene Souveränität einfach zu.
Ist das Völkerrecht hier falsch, weil es offensichtlich nicht funktioniert?
Auch das würde ich nicht so sehen. Das Völkerrecht ist in seinem Kern, z.B. Grenzen zu respektieren nach wie vor das Richtige.
Und trotzdem: Wie erreicht man diesen Zustand?
Und hier wird es halt schwierig, da eine militärische Lösung auch Opfer erfordert, und zwar in erheblicher Größenordnung.
Und genau das zwingt dazu, nach kompromissartigen Lösungen zu suchen.
Im Falle eines Völkermordes ist das egal, da die Alternativen ja nur heißen, entweder im Kampf zu sterben oder durch die Völkermörder.
Für 'klassische' Kriege gilt das aber nicht. Hier werden die Kosten in Menschenleben betrachtet werden müssen, was zu Lösungen führt, die das Optimum herausholen, also das unter den Umständen beste, das kleinere Übel.
Die Ukraine hat alles Recht dazu, entscheiden zu können, wieviele Opfer sie in Kauf nimmt.
Wir aus einer unterstützenden westlichen Position haben ebenfalls das Recht dazu zu sagen, dass uns Menschenleben wichtiger sind als Territorien und keineswegs die Pflicht, der Ukraine über jede Hürde zu helfen.