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Avatar von auf_der_hut
  • auf_der_hut

mehr als 1000 Beiträge seit 07.05.2008

Re: Wenn es denn nicht zum Weinen wäre...

Glaubt wer an die Uneigennützigkeit der "Unterstützer"?

Wo wurde das denn behauptet? Natürlich sind die Unterstützer froh, dass sie nur Geld und kein Blut opfern müssen, um Putin zu bremsen. Wer, der noch bei Verstand ist, wäre das nicht? Das bedeutet aber noch lange nicht, dass man diesen Krieg gewollt oder die jetzige Entwicklung vorhergesehen hat. Mir fehlt ein bisschen die Fantasie, wie ein "uneigennütziges" Engagement überhaupt aussehen könnte.

Das Interesse Deutschlands und seiner europäischen Partner ist es, dass die seit den 70er Jahren gewachsene europäische Friedensordnung (KSZE-Prozess), die uns den Kalten Krieg und den Zusammenbruch des Ostblocks hat unbeschadet überstehen lassen und die kaum für möglich gehaltene Vereinigung Deutschlands in Wohlstand, Frieden und Freiheit ermöglicht hat, erhalten bleibt. In dieser Ordnung gibt es keine Annexionen, sondern ein Bekenntnis zu den bestehenden Grenzen und der Souveränität auch kleiner Staaten.

Was wir jetzt erleben ist der russische Versuch (von China unterstützt), der Welt einen Rückfall in die alte Großmachtpolitik aufzuzwingen, wo die inzwischen drei Großen (Russland, China, USA) ohne Rücksicht auf die Interessen der Kleineren ihre Claims abstecken. Das liegt im Interesse Russlands, denn es ist von drei Großen der mit Abstand kleinste und muss fürchten ohne weitere Zugewinne diesen Status nicht halten zu können, z.B. gegen Indien mit der zehnfachen Bevölkerung und einem um 50% höheren BIP. China ist generell nicht mehr bereit, sich Regeln zu unterwerfen, auf deren Formulierung es keinen Einfluss hatte.

Es wäre ein schlimmer Präzedenzfall gewesen (wenn er vielleicht auch den Ukrainekrieg hätte verhindern können), wenn die USA auf das russische Ultimatum eingegangen wären und über den Kopf der Ukraine hinweg mit Russland über deren Zugehörigkeit zum russischen Machtbereich verhandelt hätten. Wollen wir wirklich, dass Deutschland und Europa (oder Teile davon) bei einem "Jalta 2" auf irgendwelchen Notizzetteln landen und zum Bestandteil eines "Deals" werden, bei dem die Betroffenen überhaupt nicht gefragt werden?

Es geht also gar nicht so sehr darum, die (sicherlich nicht perfekte) Demokratie und die Freiheit in der Ukraine zu verteidigen. Es geht um die Verteidigung einer Ordnung, in der auch kleine Staaten Rechte haben, die "Stärke des Rechts statt das Recht des Stärkeren". Auch die USA haben, obwohl sie nach dem 2. Weltkrieg Erfinder dieser Ordnung waren, durch den ohne Rücksicht auf Verluste geführten "Krieg gegen den Terror" und in der Hybris die einzige verbliebene Großmacht zu sein nicht gerade zu deren Stärkung beigetragen.

Die derzeitige Aufrüstungswelle gerade auch bei kleineren Staaten ist Ausdruck der Befürchtung, dass diese Ordnung stirbt und vor Übergriffen durch die "Großen" nicht mehr schützt, z.B. Japan. Eine Folge davon ist auch der NATO-Beitritt von Schweden und Finnland.

Wenn diese Erosion einer auf Regeln und Gewaltfreiheit basierenden Ordnung noch gestoppt werden soll, dann kann es für die Ukraine keine Verhandlungen über Gebietsabtretungen geben. Annexionen sind im Sinne des jetzt noch gültigen Völkerrechts in jedem Fall illegal, ihre Anerkennung ist verboten, so hat es auch die UN-Generalversammlung in ihren Resolutionen zur Ukraine formuliert. Es geht in den Verhandlungen, die ja irgendwann kommen werden, immer auch um eine zukünftige, post-völkerrechtliche Weltordnung, die eine starke Aufwertung militärischer (vor allem nuklearer) Macht beinhalten würde. Das ist es, was die Aufrüstung jetzt schon antreibt. Der größte Verlierer dabei wäre Europa, das Gefahr läuft unfreiwillig und ungefragt scheibchenweise in den russischen Machtbereich zu fallen oder das Schicksal der Ukraine zu teilen. Alleine die Drohung mit einem Angriff würde nach einem russischen Sieg in der Ukraine ausreichen, denn wer von Russland angegriffen wird wüsste, dass er entweder erobert oder zerstört wird.

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