wa schrieb am 27.05.2024 18:00:
Fuer das Funktionieren der MAD-Doktrin [1] gibt es ein paar Bedingungen:
1. Man hat ein Bedrohungspotenzial, vor dem sich der Gegner genug fuerchtet, um seine Realisierung nicht herausfordern zu wollen.
2. Man ist sowohl in der Lage wie auch entschlossen, auf einen Erstschlag mit einem Zweitschlag zu reagieren, der die Bedingung von Punkt 1 erfuellt.
3. Man ist in der Lage, das Ausfuehren eines versehentlichen Zweitschlags in Abwesenheit eines Erstschlags zu verhindern bzw. rechtzeitig zu unterbrechen.Wie wir wissen [2], gab es waehrend des Kalten Kriegs auf beiden Seiten Fehlalarme, die zum Anlaufen des jeweiligen Zweitschlagsprotokolls fuehrten. Der wohl bekannteste Fall war 1983 [3]. Es blieb jeweils genug Zeit, um die Fehlalarme als solche zu erkennen, und den vermeintlichen Zweitschlag, der ungewollt zum Erstschlag geworden waere, zu verhindern.
Kuerzere Angriffswege, schnellere Erstschlagswaffen, und reduzierte Moeglichkeiten der Fernerkennung fuehren alle dazu, dass die Zeit zum Erkennen und Verhindern von Fehlalarmen schrumpft. Damit steigt das Risiko, dass ein Fehlalarm nicht mehr rechtzeitig erkannt wird, und das obige Katastrophenszenario eintritt.
Weiter gehoert zur perversen Logik von MAD, dass, obwohl ein Zweitschlag alles noch viel schlimmer macht, Punkt 2 erfordert, dass dieser Zweitschlag, sollte es zu einem Erstschlag kommen, mit Sicherheit durchgefuehrt wird.
Soweit mein Verstaendnis der Logik von MAD.
Ich halte Putin fuer einen soweit rationell denkenden Menschen, der, egal wie skrupellos er sein mag, kein Verlangen verspuert, fuer einen/den Weltuntergang mitverantwortlich zu sein. Da er MAD sicher viel besser versteht als ich, werden ihm solche Ueberlegungen nicht fremd sein. Ich halte es fuer moeglich, dass er beim Vordringen der NATO weniger die Gefahr eines Angriffs, sondern den Verlust der fuer Punkt 3 noetigen Puffer fuerchtete. So seltsam das auch klingen mag, koennte der russische Angriff auf die Ukraine in diesem Sinne ein Versuch gewesen sein, die globale Sicherheit zu wahren. Das aber nur als Gedanke am Rande.
Wenn der Westen sich nun daran macht, die russischen Fruehwarnsysteme quasi zu blenden, bedeutet das, bestenfalls, dass bei einem Fehlalarm weniger Information zur Verfuegung steht, die einen Fehler erkennen lassen koennte. Schlimmstenfalls bedeutet es, dass die erste Warnung deutlich spaeter kaeme, und fuer das Erkennen eines Fehlalarms kaum oder keine Zeit mehr bliebe. Punkt 3 waere damit ausser Kraft gesetzt, und das Gebaeude von MAD, das die Menschheit trotz all seiner Schrecklichkeit gut 60 Jahre lang vor dem kollektiven nuklearen Selbstmord bewahrte, wuerde zusammenbrechen.
Schlimmer noch, statt auf den fatalen Fehlalarm zu warten, koennte der Westen beschliessen, dieser Gefahr mit einem Erstschlag zu begegnen, evtl. auch in der Hoffnung, dass die Fruehwarnsysteme nun zu spaet fuer einen gemaess Punkt 2 wirkungsvollen Zweitschlag reagieren wuerden.
Immerhin liesse sich die Situation entschaerfen, wenn Russland rasch ueberzeugend darlegen koennte, dass diese Zerstoerungen das korrekte Funktionieren des Fruehwarnsystems, ausreichend Bedenkzeit mit eingeschlossen, nicht nennenswert beeintraechtigen.
Ausserdem muessen weitere Angriffe dieser Art verhindert werden. Es stellt sich lediglich die Frage, ob wir im Westen noch in der Lage sind, unsere eigenen Kriegstreiber von weiteren Irrsinnstaten abzuhalten.
- Werner
[1] https://en.wikipedia.org/wiki/Mutual_assured_destruction
[2] https://en.wikipedia.org/wiki/Nuclear_close_calls
[3] https://en.wikipedia.org/wiki/1983_Soviet_nuclear_false_alarm_incident
Russland kann die Angriffe auf seine Radarstationen sofort beenden, in dem es sich auf sein international anerkanntes Territorium zurück zieht. So einfach kann das LEBEN sein.😎
Das Posting wurde vom Benutzer editiert (27.05.2024 18:50).