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  • tallinn

mehr als 1000 Beiträge seit 01.04.2004

Über Singularitäten und wohin man kommen kann, wenn man dahin geht

the observer schrieb am 6. August 2005 1:16

> tallinn schrieb am 4. August 2005 10:12
> > the observer schrieb am 4. August 2005 2:02
> >
> > > > Zum Thema Rationalismus stimme ich tallin zu. Die Bedeutung vom
> > > > Falsifizierbarkeits-Dogma wird oft überschätzt.

> Ich halte das, was Meinersbur Dogma nennt, für das stärkste Argument
> Poppers These, und tatsächlich hat es ja so manchen Wissenschaftler
> umgehauen, als er davo erfuhr.

Das habe ich als etwas Besonderes erlebt. Als ich Poppers Logik der
Forschung gelesen hatte (nur den Textteil, ich erinnere mich auch an
einen deutlich längeren Teil voller mir unverständlicher
Prädikatenlogik), war das Thema Erkenntnistheorie für mich
zufriedenstellend erledigt. Es ist seither auch mein Konzept beim
Umgang mit Naturwissenschaft. Es ist auch kein Dogma. Es ist das
beste, was wir tun können, wenn wir uns Fragen über die Natur, die
Wirklichkeit, zuwenden.


> Gewinnt die Mathematik Erkenntnisse, oder werden mit ihrer Hilfe
> Erkenntnisse gewonnen?

Ja, die Mathematik macht das gar nicht, das sind wir. Allerdings
betont meine Formulierung den objektiven Aspekt von Mathematik:
Menschen können sich in strenger Form auf "Wahrheit" einigen. Deine
Formulierung verändert nicht den Punkt, um den es mir geht: Erkenntis
ist das, was wir als wahr erkennen können. Ich denke, da sind wir uns
einig. Es ist halt weniger als die ganze Wahrheit. Sagt Gödel. Und
hats bewiesen und damit unserer Erkenntnis hinzugefügt.

> Mathematisch betrachtet ist der Nord(wie auch der Süd)pol eine
> Singularität, legt man ein Gitternetz von Längen- und Breitengraden
> über die Erdkugel. Eine höchst unangenehme Gegend, eine solche
> Singularität, stellt der Mensch fest. Ein wirklich angenehmes
> Plätzchen, findet der Eisbär und macht es sich mitten auf der
> Singularät bequem.

Ich habe die Pole noch nie als Singularität aufgefasst, und grüble
auch jetzt noch darüber, welche Observablen da eigentlich divergieren
(die würden den Eisbär ganz schön ärgern). Mir fällt nichts ein.
Nicht jede mathematische Grösse, die beim Rechnen mit Naturgesetzen
auftaucht, ist eine Observable.

Die Singularitäten der Raumzeit sind Singularitäten von Observablen,
und nicht behebbar im Rahmen dessen, was wir an Theorien haben.
Überall sonst finden wir mathematische Objekte, die die Wirklichkeit
so beschreiben, dass keine Observable divergiert. Naja, fast überall.
Auch im Zentrum eines Elementarteilchens finden wir mitunter einen
Ort, wo z.B. seine Ladung divergiert. Auch dies weist daraufhin, dass
wir dringend eine Vereinigung von QP und ART brauchen.

Wer allerdings glaubt, das Singularitäten wirklich sind, weil von
ihnen eine erfahrbare Wirkung ausgeht, der kann und der darf auch an
Gott glauben und ihn genau dort vermuten, wo er nicht hinschauen kann
(Stichwort "cosmic censorship").

Doch was sagt uns das über Gott, wenn wir ihn dort vermuten?

Wenig. Er ist unendlich, wir können ihn nicht direkt "sehen". Die
Welt geht als Wirkung von ihm aus. Wir sind Teil dieser Wirkung.
Diese Wirkung können wir seinen Willen nennen. Doch ob es ein guter,
ein schlechter, oder einfach nur ein zufälliger Wille ist, können wir
so nicht erfahren. So bleibt die Bezeichnung Wille nur ein anderes
Wort für Wirkung. Und Gott ein anderes Wort für Singularität.

Wir haben aber als Folge dieser Wirkung etwas bekommen, womit wir
mehr über die Singularität erfahren können, deren Wirkung wir sind.
Es ist nicht unser Verstand. Den haben wir oben erschöpfend
verwendet, der wird uns nichts mehr sagen. Es sind unsere Emotionen.
Diese vermitteln uns ein gutes Gefühl oder ein schlechtes Gefühl und
jede Wirkung der Welt, und damit der Singularität, auf uns müssen wir
dort irgendwo einordnen, wir können gar nicht anders. Jede Handlung,
die wir begehen, zielt auf ein gutes Gefühl, zielt darauf, eine gute
Wirkung für uns zu erhalten. Auch da können wir nicht anders.

Also führt die Frage "Wie wirkt die Singularität?" oder "Was will
Gott?" auf die Frage, welche Emotionen, welche Handlungsmotive hat
diese Wirkung uns gegeben. Was ist das Gute, das wir anstreben, weil
wir es empfinden wollen? Dieser Wille zum Guten ist ja Ausfluss der
Singularität, wir sind so geworden. Was ist Glück? Das ist die Frage
nach dem "Willen Gottes". Und die Antwort darauf ist nicht beliebig.
Die ist nicht nur individuell und subjektiv. Da finden wir alle auch
Gemeinsamkeiten, mehr, so meine ich, als viele denken. Da gibt es
viele Dinge, die für uns alle gleich erfahrbar sind und die wir
deswegen auch als wahr erleben können.

An dieser Stelle verabschiede ich mich mit Bedauern und den besten
Wünschen von denjenigen Rationalisten, die das leugnen, weil Gefühle
wie blinder Zufall etwas völlig beliebiges seien, an dem man sich
nicht orientieren kann :-) Schade, dass ihr euch soviel Gewalt antut.
Ihr bremst ständig euren eigenen Motor.

Ich muss aber auch so zum Schluss kommen. Ich bin an einem Punkt
angelangt, der Ausgangspunkt moderner Theologie ist. Diese
interpretiert das, was wir in der christlichen Lehre über Gott und
sein Wollen finden, als eine Darstellung all dessen, was die Natur
uns an Wünschen mitgegeben hat. Eine Theorie über das Gute, dass
allen Menschen eingepflanzt sei. Diese Theologie führt zu ganz neuen
Interpretationen von Schuld und Sünde. Da kann ein jeder sich nur
noch an sich selbst versündigen. Er kann nur gegen sich selbst
schuldig werden. In dem er sich daran hindert, das Gute in all seinen
Aspekten zu erleben. In dem er immer irgendeine seiner Emotionen
nicht beachtet, sich über sie hinwegsetzt. Der in dieser christlichen
Theologie für alle Menschen als gemeinsam angenommene Wunsch danach,
geliebt zu werden (bedingt durch die anderen), und Mitleid erleben zu
können (ebenfalls bedingt durch die anderen), verbindet dabei das
eigene Glück mit dem der anderen. Wer nicht oder nur schwach geliebt
werden will, oder kein oder wenig Mitleid empfinden kann, wird sich
im so verstandenen Christentum nicht wiederfinden können. Dafür
werden diese Aspekte dort zu sehr betont.

Die Darstellung des Menschen in dieser Theologie muss sich natürlich
messen lassen an dem, was der Mensch wirklich ist, was seine
wirklichen Emotionen, was seine wirklichen Handlungsmotive sind. Dort
geben Psychologie und Neurologie die direktesten Antworten, aber
leider noch nicht alle, die Geschichte der Menschheit und das
Verhalten von uns Menschen an sich kann häufig sehr irreführend sein.

Mehr will ich gar nicht sagen :-) Aber das war jetzt auch schon
wieder reichlich und viel zu lang. War ja auch ein weiter Weg. Einmal
zum Anfang und dann wieder zurück.

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