gHack schrieb am 6. Januar 2002 19:54
> Hm. Interessante Diskussion. Als ich kürzlich Luhmanns "Neues
> Testament" ("Soziale Systeme") wieder gelesen habe, dachte ich mir
> auch, dass er verdammt oft über das menschliche Gehirn schreibt und
> das
> nicht zugeben mag. Die Systemtheorie hat da, wie eigentlich alle
> Biologismen, ein Skalierungsproblem. Man kann vom einzelnen
> Organismus
> nicht auf gesellschaftliches Niveau hochextrapolieren.
Ich halte die biologische Metaphorik zwar für durchaus anregend, aber
bis zu einem gewissen Grade auch hinderlich. Sie ist es, die Luhmanns
Axiomatik so schwerfällig macht, in seine Werke die unerträglichen
Redundanz einbaut, jedesmal wieder neu die ganze Meta-Theorie
aufzubauen.
Ich nehme an, dass es sehr viel besser gewesen wäre, an einem
bestimmten Punkt das Framework zu wechseln. Naheliegend wäre gewesen,
es in einer mathematischen Metaphorik zu versuchen und dabei
Anlehnungen an die Sprache der modernen Algebra zu nehmen, d.h.
Struktur, Tansformation und Invarianz. Das liegt dem Charakter der
Systemtheorie eigentlich auch zugrunde und muss nicht über die schlecht
verstandene Autopoiesis und über Spencer Browns obskures
Distinktionskalkül eingeholt werden. Darüber hinaus muss der
Systembegriff in dieser Semantik nicht so stark hypostasiert werden,
wie es bei Luhmann der Fall ist. Indem man statt auf einen abstrakten
Code auf eine Menge von Sprechakten und Handlungen rekurriert, die in
einer Organisation strukturiert und abgeteilt, konserviert und
erweitert werden und deren Erhaltung bzw. Modifikation in einer
dynamischen Welt stets Problemcharakter besitzt, weswegen sie auch
entstehen und schrumpfen, wachsen, in anderen aufgehen oder sich ganz
auflösen können. Es gibt kein lineares Wachstum des "Featurebaumes" und
auch keine eindeutige Tendenz zu immer mehr Differenz und subtiler
Unterscheidung. Es ist sogar so, dass im Laufe der Entwicklung z.B.
einer Wissenschaftsdisziplin gewisse früher getroffene
Unterscheidungen nicht mehr gemacht werden können, dass sie sich nicht
konsistent zu anderen verwenden lassen usw.
> Ausserdem
> kann
> soziologische Theorie niemals so universal und neutral und glatt
> sein
> wie man sich in der Prä-Heisenberg-Ära die naturwissenschaftlichen
> Theorien vorgestellt hat. Die soziologische Theorie ist bereits
> politisch, wenn sie formuliert wird.
Sie kann sogar ihre eigene Politik generieren, wie im Falle des
Marxismus. Das ist plausibel in dem Sinne, dass die Gesellschaft immer
auch versucht sich über soziologische Modelle selbst zu verstehen und
sich entsprechend ihrer Erkenntnisse zu verhalten, ob es nun um
Toleranz und Verstärkung von medialem Zynismus oder um
Revolutionsbegeisterung geht. Die Idee z.B., dass wir nun in einer
Wissensgesellschaft leben, führt dazu, dass sich Leute zusammenfinden,
um sie zu definieren und zu schaffen. Ein schöner Zirkel, in dem
Beschreibung, Spekulation und Utopie zusammenfallen ( Die Utopie ist
selbstverständlich nicht tot, sondern hat nur die Projektionsform
gewechselt. Statt sich eine Zukunft auszumalen, erzeugt man das Modell
einer Gegenwart, in der die angestrebte Veränderung schon enthalten
aber noch nicht voll entwickelt ist ).
Ich bin allerdings der Ansicht, dass man dem Ideal einer objektiven
soziologischen Theorie nahekommen kann, wenn sie genauso gut auf
Gesellschaften passt, der wir nicht angehören oder die bereits
untergegangen sind und dabei bestimmte Details vorherzusagen oder
aufzulösen vermag, von denen man keine oder nur ungenügende Kenntnisse
besaß. Der nichttautologische und inferentielle Charakter einer Theorie
ist für mich stets entscheidend. Da kann die Systemsoziologie keinen
Punkt für sich verbuchen. Sie gleicht der Erfindung einer
ausgeklügelten Messaparatur, die zum Fetisch geworden ist - leider. Sie
bezieht ihr Flair aus einem Missverständnis, dem manche
Mathematikstudenten gern in den frühen Semestern erliegen: sie wollen
zunächst die ganz abstrakten und allgemeinen Sachen lernen, damit sie
später nur noch die Lücken ausfüllen müssen. Das klappt
so nie.
Tloen
> Hm. Interessante Diskussion. Als ich kürzlich Luhmanns "Neues
> Testament" ("Soziale Systeme") wieder gelesen habe, dachte ich mir
> auch, dass er verdammt oft über das menschliche Gehirn schreibt und
> das
> nicht zugeben mag. Die Systemtheorie hat da, wie eigentlich alle
> Biologismen, ein Skalierungsproblem. Man kann vom einzelnen
> Organismus
> nicht auf gesellschaftliches Niveau hochextrapolieren.
Ich halte die biologische Metaphorik zwar für durchaus anregend, aber
bis zu einem gewissen Grade auch hinderlich. Sie ist es, die Luhmanns
Axiomatik so schwerfällig macht, in seine Werke die unerträglichen
Redundanz einbaut, jedesmal wieder neu die ganze Meta-Theorie
aufzubauen.
Ich nehme an, dass es sehr viel besser gewesen wäre, an einem
bestimmten Punkt das Framework zu wechseln. Naheliegend wäre gewesen,
es in einer mathematischen Metaphorik zu versuchen und dabei
Anlehnungen an die Sprache der modernen Algebra zu nehmen, d.h.
Struktur, Tansformation und Invarianz. Das liegt dem Charakter der
Systemtheorie eigentlich auch zugrunde und muss nicht über die schlecht
verstandene Autopoiesis und über Spencer Browns obskures
Distinktionskalkül eingeholt werden. Darüber hinaus muss der
Systembegriff in dieser Semantik nicht so stark hypostasiert werden,
wie es bei Luhmann der Fall ist. Indem man statt auf einen abstrakten
Code auf eine Menge von Sprechakten und Handlungen rekurriert, die in
einer Organisation strukturiert und abgeteilt, konserviert und
erweitert werden und deren Erhaltung bzw. Modifikation in einer
dynamischen Welt stets Problemcharakter besitzt, weswegen sie auch
entstehen und schrumpfen, wachsen, in anderen aufgehen oder sich ganz
auflösen können. Es gibt kein lineares Wachstum des "Featurebaumes" und
auch keine eindeutige Tendenz zu immer mehr Differenz und subtiler
Unterscheidung. Es ist sogar so, dass im Laufe der Entwicklung z.B.
einer Wissenschaftsdisziplin gewisse früher getroffene
Unterscheidungen nicht mehr gemacht werden können, dass sie sich nicht
konsistent zu anderen verwenden lassen usw.
> Ausserdem
> kann
> soziologische Theorie niemals so universal und neutral und glatt
> sein
> wie man sich in der Prä-Heisenberg-Ära die naturwissenschaftlichen
> Theorien vorgestellt hat. Die soziologische Theorie ist bereits
> politisch, wenn sie formuliert wird.
Sie kann sogar ihre eigene Politik generieren, wie im Falle des
Marxismus. Das ist plausibel in dem Sinne, dass die Gesellschaft immer
auch versucht sich über soziologische Modelle selbst zu verstehen und
sich entsprechend ihrer Erkenntnisse zu verhalten, ob es nun um
Toleranz und Verstärkung von medialem Zynismus oder um
Revolutionsbegeisterung geht. Die Idee z.B., dass wir nun in einer
Wissensgesellschaft leben, führt dazu, dass sich Leute zusammenfinden,
um sie zu definieren und zu schaffen. Ein schöner Zirkel, in dem
Beschreibung, Spekulation und Utopie zusammenfallen ( Die Utopie ist
selbstverständlich nicht tot, sondern hat nur die Projektionsform
gewechselt. Statt sich eine Zukunft auszumalen, erzeugt man das Modell
einer Gegenwart, in der die angestrebte Veränderung schon enthalten
aber noch nicht voll entwickelt ist ).
Ich bin allerdings der Ansicht, dass man dem Ideal einer objektiven
soziologischen Theorie nahekommen kann, wenn sie genauso gut auf
Gesellschaften passt, der wir nicht angehören oder die bereits
untergegangen sind und dabei bestimmte Details vorherzusagen oder
aufzulösen vermag, von denen man keine oder nur ungenügende Kenntnisse
besaß. Der nichttautologische und inferentielle Charakter einer Theorie
ist für mich stets entscheidend. Da kann die Systemsoziologie keinen
Punkt für sich verbuchen. Sie gleicht der Erfindung einer
ausgeklügelten Messaparatur, die zum Fetisch geworden ist - leider. Sie
bezieht ihr Flair aus einem Missverständnis, dem manche
Mathematikstudenten gern in den frühen Semestern erliegen: sie wollen
zunächst die ganz abstrakten und allgemeinen Sachen lernen, damit sie
später nur noch die Lücken ausfüllen müssen. Das klappt
so nie.
Tloen