Ich erlaube mir mal einen ersten Schluss zu ziehen, von dem ich weiß, dass Sie ihn nicht mittragen. Aber er bietet sich an und ich halte es für reizvoll das mal explizit zu machen.
Der Westen
Wir hatten einen Disput darüber, was der Westen sei, und zwar hier:
Die Auseinandersetzung ging darum, ob sich "der Westen" über einen Willen zu einem politischen System (Gewaltenteilung und Rechtsstaatlichkeit) oder aber über das Interesse der USA konstituiert die Welt zum Mittel ihres nationalen Reichtums zu machen. Ich hatte das so ausgedrückt:
Was ist also "der Westen"? (jetzt kommt die Gegenthese): Ein Bündnis von Staaten, das die USA sich beigeordnet haben, um genau diesen Weltherrschaftsanspruch durchzusetzen. Und deshalb nützt es z.B. den Russen nichts Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung einzuführen (die gibt es dort tatsächlich nur eingeschränkt). Sie stören die USA als Macht, gegen die man nicht durchregieren kann. Die Differenz zwischen Beschreibung des Westens als Staaten in denen Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung gelten und meiner These ist also, dass der Inhalt des Westens eben nicht ist die Welt mit seiner Herrschaftsform zu beglücken, sondern sie schlicht und ergreifend zu beherrschen und sie so zum Mittel des nationalen Reichtums der westlichen Staaten zu machen.
(Inge im oben verlinkten Beitrag)
Im Thread hier haben wir jetzt diskutiert, was Demokratie ist (ob vollständig oder nicht sei mal dahingestellt) und ich hatte festgestellt:
In Diktaturen wird natürlich mehr gefoltert. Das hat den Grund, dass Diktaturen i.d.R. Verhältnissen vorstehen, die überhaupt nicht so stabil sind (deshalb gibt es dort Diktaturen) Da sind die Gegensätze größer und in diesen Gesellschaften gibt es mehr offene Gewalt und die Folter hat dort auch die Funktion Terror gegen Abweichler zu verbreiten d.h. sie ist ein Element der Unterdrückung. Es ist aber nicht so, dass diese Gesellschaften einfach Demokratie wählen könnten, das würde nicht funktionieren und das ist ja vom Westen im Irak z.B. versucht worden. Herausgekommen ist was ganz anderes als eine Demokratie nach hiesigen Vorstellungen.Wenn man in solchen Gesellschaften Demokratien will, dann muss man auch die ökonomischen Verhältnisse einrichten, die hier gelten und für deren Erfolg sorgen, weil nur so eine berechnende Unterwerfung der Bevölkerung, eine positive Anteilnahme am Staat durchgängig zustande kommt. Damit würde sich der Westen aber Konkurrenten heranziehen, was er nicht will.
Was bedeutet dann die wertegeleitete Außenpolitik westlicher Staaten, wie von Annalena Baerbock auf die Tagesordnung gesetzt? Sie fordert ja, indem sie z.B. Demokratie und Menschenrechte einfordert von vielen Staaten etwas, das die überhaupt nicht erfüllen können (siehe Irak), weil das Verhältnis zwischen Staat und Bevölkerung überhaupt nicht dem in westlichen Staaten entspricht (dort gibts kein allgemeines Interesse an einem Staat, sondern der Staat ist für große Teile der Bevölkerung ausschließlich etwas Negatives, mit dem man möglichst nichts zu tun haben will, was ganz wesentlich den diktartorischen Charakter solcher Staaten erzeugt.). Was ist also die Demokratieforderung die westliche Staaten an solche Souveräne stellen? Antwort: Ein unerfüllbares Kriterium, an dem man sie im Bedarfsfall scheitern lassen kann. Und der Bedarfsfall ist eben nicht, dass bei ihnen rule of law und separation of powers fehlen, sondern wenn ihre Souveränität, ihre Herrschaft über ihr Staatsgebiet dem Westen irgendwie hinderlich ist. Dann werden diese Titel in Anschlag gebracht und es wird auf die rüden Herrschaftsmethoden dieser Staaten verwiesen, um die Heimatfront auf Linie zu bringen und diesen Staaten anzukündigen, dass man ihre Staatsraison nicht mehr toleriert. Auf diese Art geht es um die Werte. Sie sind kein Selbstzweck, sondern Titel, die man gegen Staaten in Anschlag bringt, um sie zu unterwerfen bzw. ihnen ihre Unterwerfung anzukündigen.
edit: Und das muss man als kundiger Außenpolitiker nichteinmal wissen! Man reist dann durch die Welt wie Sisyphos, weil die Welt mit den Werten, mit denen man sie beglücken will überhaupt nichts anfangen kann und sie tw. ablehnt. Bei welchem Staat das dann politischen Handlungsbedarf ergibt (Russland ja, Saudi Arabien im Moment nicht) bekommt so ein Außenpolitiker von Notwendigkeiten diktiert, die damit (soviel ist klar) nichts zu tun haben, sondern da geht es eben darum Herrschaft über Staaten auszuüben.
Das Posting wurde vom Benutzer editiert (06.04.2022 14:08).