Da die Ökonomie als Lebensgrundlage fast weltweit kapitalistisch organisiert ist, fungieren die Staaten auch weltweit als „ideelle Gesamtkapitalisten“ und müssen vorrangig zwei ordnungs- und prozesspolitische Leistungen für eine möglichst reibungslose Kapitalverwertung erbringen, die im Widerspruch zueinander stehen:
1. Schaffung und Aufrechterhaltung von günstigen Rahmenbedingungen, damit Produktion, Distribution und Konsumtion zu Profiten für das Kapital (für möglichst viele, v.a. aber für große Unternehmen) und zu gesamtwirtschaftlichem Wachstum führen können;
2. Erhaltung der biologischen Basis für die permanent profitable Kapitalverwertung und das daraus generierte gesamtwirtschaftliche Wachstum, damit genügend qualifizierte Lohnabhängige und Konsumenten, d.h. die Arbeitskraft der Lohnabhängigen in gut verwertbarem Gebrauchswertzustand und die Konsumenten in gut verwertbarem Bedürfniszustand zur Verfügung stehen.
Wegen dieser doppelten Staatsfunktion haben alle Staatsregierungen weltweit Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus ergriffen, die widersprüchlich waren und auch aktuell nach fast zwei Jahren Pandemie immer noch widersprüchlich sind.
Anfangs haben viele Staaten, v.a. in Europa, in Amerika, aber auch China, das als Ursprungsland der Pandemie gilt, die Gefährlichkeit von Corona unterschätzt oder heruntergespielt. Als die Gefährlichkeit des Virus und seine Hauptübertragungswege einigermaßen klar waren, wussten die Staatsführungen, dass Maßnahmen, die die Pandemie möglicherweise eindämmen können, ergriffen werden müssen, diese aber unmittelbar und mittelbar die Rahmenbedingungen für die Kapitalverwertung verschlechtern werden.
Hinreichende Gesundheitssicherung der Arbeitskräfte und Konsumenten einerseits und Absicherung profitabler Kapitalverwertung andererseits stellen einen Antagonismus dar, also einen unlösbaren Widerspruch. Ein Antagonismus kann demnach nur geregelt, nicht aber gelöst werden. Im üblichen ökonomisch krisenhaften Verlauf kapitalistischer Wertverwertung (Überproduktionskrisen, die wie Unterkonsumtionskrisen erscheinen, also Krisen wegen Überfluss) gelingt dies bereits nur mit erheblichen Zumutungen für die lohnabhängigen Arbeitskräfte, deren Gesundheit und Leben dadurch in hoch entwickelten kapitalistischen Staaten teils mittelbar, teils unmittelbar bedroht sind, in weniger entwickelten Weltregionen häufiger unmittelbar. Eine Krisensituation wie die durch das Corona-Virus hervorgerufene bedroht aber Gesundheit und Leben nicht nur der lohnabhängigen Arbeitskräfte, sondern auch der Freiberufler, Solo-, Klein- und Scheinselbstständigen sowie der Kapitalbesitzer überall ausnahmslos direkt, wenn auch in unterschiedlicher Schärfe so doch ebenfalls in hoch entwickelten kapitalistischen Staaten.
Die geschmeidige Fortsetzung der Inwertsetzung von Arbeitskräften im Kapitalverwertungsprozess, die, weil sie lohnabhängig sind, ausgebeutet werden, ist durch eine außerökonomische Kraft (Coronavirus) bedroht. Demnach muss die Coronapandemie eingedämmt werden. Die staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie bedrohen ihrerseits aber ebenfalls die möglichst ungehinderte Fortsetzung der Kapitalverwertung – in diesem Fall jedoch nicht wie kapitalistisch wiederkehrend üblich wegen Überproduktion/Überfluss, sondern wegen des Gegenteils, nämlich erheblicher Einschränkungen der Verteilung von Waren und Dienstleistungen (Distribution), der Konsumtion und zum Teil daraus folgend auch der Produktion.
Außerökonomische Kraft bedeutet hier übrigens nicht, dass es sich um eine Naturkatastrophe im eigentlichen Sinne handelt. Zoonotische Erreger wie SARS-CoV-2 sind höchstwahrscheinlich Folge der intensiven und extensiven, häufig monokulturellen Landwirtschaft und Massentierzucht, also der kapitalistischen, global agierenden Nahrungsmittelindustrie mit massivem Einsatz von Herbiziden und Pestiziden und durch Zerstörung von großen natürlichen Gleichgewichtssystemen mit hoch entwickelter Diversität von Flora und Fauna wie die tropischen Regenwälder, in die die Kapitalverwertung eindringt und damit eben auch die als Übersprungsbarriere der potenziellen Krankheitserreger vom Tier zum Menschen wirkenden Diversitätsräume zerstört.
Sowohl am Anfang einer Pandemie als auch in ihrer Fortsetzung durch ein neues Virus ist kaum entscheidbar, ob die Eindämmung der Virusverbreitung durch Gegenmaßnahmen oder das weitgehend ungehinderte Laufenlassen der Infektionen größeren wirtschaftlichen Schaden anrichten. Das erklärt auch die anfangs zögerliche Entscheidung vieler Staaten, Eindämmungsmaßnahmen zu beschließen und die nach wie vor unterschiedliche Härte der Maßnahmen im aktuellen Verlauf der Pandemie. Viele Staaten, wie z.B. Deutschland, verfolgen eine Art Mischstrategie, die man als situativ angepassten oder wankelmütigen Teil-Lockdown bezeichnen kann, wobei Kontaktbeschränkungen Lockerungen folgen, denen wieder Beschränkungen und dann Lockerungen folgen usw.
Die Favorisierung von Impfungen als beste Problemlösung der Pandemie ist dem systemimmanenten (stummen) Zwang der Verhältnisse geschuldet, der zu technischen Problemregelungen drängt. Die Umwälzung der Verhältnisse, die einen anderen Umgang mit außermenschlicher und menschlicher Natur und die dazu notwendige strikt ohne privatwirtschaftlichen Profit auskommende ökonomische Strategie ermöglichen würde, könnte eine bedürfnisinduzierte Problemlösungsstrategie freisetzen, die auf Verhinderung von Armut, Hunger, Krieg, sozialer Ungleichheit, Klimawandel, Pandemien usw. setzt.
Solange das nicht der Fall ist, muss der ideelle Gesamtkapitalist (Staat) wenigstens dazu aufgefordert werden, die Regulierung des Antagonismus, also seine "Hausaufgaben" im kapitalistischen Modus zu erledigen.
Der deutsche Staat hat selbst diese "Hausaufgaben" nur unzureichend gemacht, weil er (wie zahlreiche andere Staaten auch) in einem Hin und Her der Regelungen des Antagonismus herumstolpert und den Wirkungen des Virus wie auch der Impfungen dadurch immer hinterherhechelt. Den Widerspruch zwischen Profit und Gesundheit kann er nicht lösen, er könnte aber erkennen und dementsprechend handeln, dass in einer Pandemie die Unterordnung der Gesundheit unter den Profit zumindest phasenweise und schnell genug weniger umfassend und tiefgreifend sein darf als üblich, um das Übliche möglichst schnell wieder zu erreichen. Auch das schafft er nicht.
Außerdem ist das Übliche und Außerpandemische dann wieder kapitalistische Krise usw. usw. usw.