Als Nichtjurist kann man viele Rechtsbeugungsverfahren kaum nachvollziehen, besonders wenn die schriftliche Urteilsbegründung noch aussteht. Als Grundlage dieses aktuellen Rechtsbeugungsvorwurfs findet man im Internet einen fast hundertachtzigseitigen familienrechtlichen Beschluss des nun verurteilten Richters Christian Dettmar vom 08.04.2021 am Amtsgericht Weimar (https://peds-ansichten.de/wp-content/uploads/2023/08/2021_04_08_Amtsgericht_Weimar_9_F_148_21_EAO_Beschluss.pdf), der großteils die wissenschaftlichen Gutachten dreier Sachverständiger, die später allesamt noch Durchsuchungsbeschlüsse über sich ergehen lassen mussten, wiedergibt.
Sonst geht es im Kern um die Vorschrift § 1666 Abs. 1, 4 BGB (https://www.gesetze-im-internet.de/bgb/__1666.html) vor dem Hintergrund diverser Thüringer Verordnungen zur Eindämmung der Pandemie, also lediglich im materiellrechtlichen Sinne Gesetze der Exekutive wie etwa auch die Straßenverkehrsordnung, in Verbindung mit der grundsätzlichen Pflicht der Judikative zur verfassungsrechtlichen Prüfung solcher Verordnungen der Exekutive auf deren Rechtmäßigkeit.
Wie andere strafrechtliche Normen kennt auch § 339 StGB (https://www.gesetze-im-internet.de/stgb/__339.html) Merkmale eines äußeren Tatbestands (https://de.wikipedia.org/wiki/Tatbestand#Strafrecht) und hier eine bestimmte Art des Vorsatzes als zumindest erforderlichen inneren Tatbestand, die jeweils erfüllt sein müssen, um Strafbarkeit zu begründen. Zur Rechtsbeugung liest man häufig:
»Als eine Beugung des Rechts im Sinne von § 339 StGB kommen nur elementare Rechtsverstöße in Betracht. (...) § 339 StGB erfasst deshalb nur Rechtsbrüche, bei denen sich der Richter oder Amtsträger bei der Leitung oder Entscheidung einer Rechtssache bewusst in schwerwiegender Weise zugunsten oder zum Nachteil einer Partei von Recht und Gesetz entfernt und sein Handeln als Organ des Staates statt an Recht und Gesetz an eigenen Maßstäben ausrichtet (...). Eine unrichtige Rechtsanwendung reicht daher für die Annahme einer Rechtsbeugung selbst dann nicht aus, wenn sich die getroffene Entscheidung als unvertretbar darstellt (...). Insoweit enthält das Merkmal der Beugung des Rechts ein normatives Element, dem die Funktion eines wesentlichen Regulativs zukommt. Ob ein elementarer Rechtsverstoß vorliegt, ist auf der Grundlage einer wertenden Gesamtbetrachtung aller objektiven und subjektiven Umstände zu entscheiden (...).
Eine Rechtsbeugung kann grundsätzlich auch durch einen Verstoß gegen Verfahrensrecht begangen werden (...). In diesem Fall ist es jedoch erforderlich, dass durch die Verfahrensverletzung die konkrete Gefahr einer falschen Entscheidung zum Vor- oder Nachteil einer Partei begründet wurde, ohne dass allerdings ein Vor- oder Nachteil tatsächlich eingetreten sein muss (...). Daneben kann auch Bedeutung erlangen, welche Folgen der Verstoß für eine Partei hatte, inwieweit die Entscheidung materiell rechtskonform blieb und von welchen Motiven sich der Richter oder Amtsträger bei der Entscheidung leiten ließ (...).«
Quelle: Seite 12/13 des BGH-Beschlusses vom 14.09.2017 (Az. 4 StR 274/16) zu einem Rechtsbeugungsfall im Kontext mehrerer Verletzungen von Verfahrensrecht durch Unterlassen – http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&nr=79763&pos=0&anz=1
Wenn man sich als juristischer Laie zum verhandelten angeblichen Rechtsbeugungsfall dieses Weimarer Familienrichters jetzt auf Basis der bisherigen Presseberichterstattung, etwa jenes im vorliegenden Artikel verlinkten LTO-Artikels der tugendhaften Autorin Tanja Podolski, eine eigene Meinung bilden möchte, so sticht sofort die Sündhaftigkeit des verurteilten Rechtsanwenders ins Auge, die sich an dessen zutiefst freiheitsfanatischem Bekanntenkreis messen ließe. Wer solche Leute kennt, der wird unser aller Sicherheit doch nur verlachen, doch reicht's für Rechtsbeugung?
Aus meiner Sicht geht es beim äußeren Tatbestand des § 339 StGB hier um einen behaupteten, beispiellos schweren Verstoß gegen Verfahrensrecht, nur welchen? Richter Hampel, zitiert nach Podolski, bleibt nebulös: »"Der gute Zweck, den Sie vielleicht im Hinterkopf hatten, rechtfertigt nicht die Art und Weise." Zu Lasten des Angeklagten führe daher der "sehr erhebliche" Verfahrensverstoß, "nach unseren Recherchen gibt es in der Rechtsprechung bisher keinen vergleichbaren Fall"« Zustimmung, denn Beispiele für Rechtsbeugung bietet etwa Wikipedia (https://de.wikipedia.org/wiki/Rechtsbeugung), und all diese Fälle lesen sich wirklich völlig anders, aber welches Delikt beging dann dieser übermotivierte Familienrichter? Nur Rechtsanwendung?
Der Bundesgerichtshof wie auch das Bundesverwaltungsgericht verneinen die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte hinsichtlich der Durchsetzung des Kindeswohls gegenüber sogenannten Dritten gemäß § 1666 Abs. 1, 4 BGB, denn diese Aufgabe obliege allein Familiengerichten (https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/bgh-xiiarz3521-zustaendigkeit-schule-corona-schutzmassnahmen-ag-famg-vg/), während wiederum einzig Verwaltungsgerichte die Durchsetzung exekutiven Behördenhandelns kontrollieren und gegebenenfalls erzwingen können, selbst wenn solche Zwangsmaßnahmen das Kindeswohl wie im Fall der pandemiebedingten Verordnungen erwiesenermaßen gefährdeten. Unterhalb strafrechtlicher Eingriffsmöglichkeiten, etwa gegen Misshandlungen an Schulen, besteht hier also tatsächlich eine echte Schutzlücke!
Diese kindeswohlbezogene Schutzlücke hat der nun wegen Rechtsbeugung verurteilte Weimarer Familienrichter vielleicht nicht einmal als solche erkannt, aber jedenfalls durch verfassungsgemäße Rechtsanwendung vorübergehend lokal geschlossen, denn er hätte einen solchen Fall von Kindeswohlgefährdung »wegen unüberwindbar verschiedener Prozessgrundsätze« (BGH) nicht einmal an irgendein Verwaltungsgericht verweisen dürfen.
Ein im Sinne des äußeren Tatbestands des § 339 StGB wirklich elementarer Rechtsverstoß sollte bereits nach dem Wortlaut des § 1666 Abs. 4 BGB vor dem Hintergrund einer andernfalls in der Rechtspraxis objektiv bestehenden Schutzlücke verneint werden müssen.
Und hinsichtlich des inneren Tatbestands steht das schließlich aufgabenbezogene und verfassungsrechtlich begründete hehre Motiv des Kindeswohlschutzes einer an eigenen Maßstäben ausgerichteten Rechtsanwendung vollkommen entgegen, denn eine in schwerwiegender Weise bewusste Entfernung von Recht und Gesetz durch vorsätzliche Falschanwendung kann auf dieser motivationalen Grundlage gerade nicht stattfinden; zumal die bloße Möglichkeit eines Rechtsverstoßes bei einer solchen Motivlage zum Tatzeitpunkt nicht einmal in Betracht gezogen worden sein könnte.
Man darf gespannt sein, welche Feststellungen zum Vorsatz in der noch ausstehenden schriftlichen Urteilsbegründung genau getroffen werden.