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  • Irwisch

mehr als 1000 Beiträge seit 22.03.2005

Werbung für Propaganda?

Anfangs war ich tatsächlich drauf und dran, den Artikel als Satire aufzufassen. Doch im weiteren Verlauf der Lektüre mußte ich erkennen, daß es dem Autor ernst damit ist, plädiert er doch für den Einsatz von Propaganda, um Menschengruppen und -massen einen fremden Willen aufzuzwingen. Völlig kritiklos führt er Edward Bernays (1) als den Vater des euphemistischen Begriffs Public Relations an, gerade so, also ob es sich hier um eine harmlose Manipulationstechnik handeln würde. Daß der Propagandabegriff sozusagen »verbrannt« ist, weil die Massen damals erkannt hatten, was man ihnen mit Propagandatechniken antut, wurde, wie im Artikel richtig dargestellt, mit der Umbenennung zu Public Relations verschleiert. Ebenso wurde z.B. der Reklamebegriff durch Werbung ersetzt, weil die meisten Menschen damit Brautwerbung assoziieren und so von den eher anrüchigen Assoziationen zum Reklamieren wegkommen. Auf solche Weise werden berechtigte Vorbehalte gegen bestimmte Einflußtechniken, gegen übergreifende Instituitionen (z.B. wurde Arbeitsamt zu Jobcenter) aus dem Weg geräumt. Oder nehmen wir die umgedrehten Bedeutungen von Arbeitgeber und Arbeitnehmer: Derjenige, der seine Arbeit einem Unternehmer gibt, wird als Nehmer bezeichnet, und der eigentliche Nehmer der Arbeit ist nun der Geber. Damit verdreht man Relationen ins Gegenteil, mit der Folge, daß mit den neuen Bezeichnungen nun nicht mehr an der Wirklichkeit entlang gedacht und analysiert werden kann.

Dem Autor bedeutet Narzißmus – eine weitverbreitete Persönlichkeitsverzerrung – völlig unkritisch Selbstwertgefühl. Daß der landläufige Narzißt sein eigentliches Selbst, das er nie oder nur unvollständig entwickeln durfte, mehr oder weniger verdrängt bzw. abgespalten hat, scheint dem Herrn Eisenberg nicht bekannt oder geläufig zu sein. Es gibt keinen »gesunden, positiven Narzißmus«, wie ihn Eisenberg in seinem Essay Unterm Strich zähl' ich – Der Narzißmus als sozialpsychologische Signatur des konsumistischen Zeitalters (2) behauptet.

Natürlich erklärt man den narzißtischen Massen gerne, ihr Narzißmus, so er überhaupt wahrgenommen wird, sei gesund und ganz natürlich. So kommen die betroffenen Menschen erst gar nicht auf die Idee, ihre narzißtischen Prägungen kritisch zu betrachten. Narzißmus ist im Grunde nichts anderes als so zu tun, als sei man großartig, bedeutend, wichtig, stark, erfolgreich usw., oder im negativen (Klein-Klein) hilfsbedürftig und damit berechtigt zur lebenslangen Unterstützung jedweder Art. Von dieser So-als-ob-Haltung läßt der Narzißt sein Leben lang nicht ab, es sei denn, er realisiert aufgrund von schweren Lebensproblemen, daß er an einer Persönlichkeitsstörung leidet; und auch da wehren sich die allermeisten Narzißten heftig gegen eine solche Erkenntnis.

Die Ursache narzißtischer Prägung liegt in entfremdenden Kindheitserfahrungen. Wenn ein Kind sich nicht so entwickeln darf, wie es in ihm angelegt ist, bildet es Ersatzstrukturen heraus. Die »Liebe« und Zuwendung der Mutter ist dann meistens vom Wohlverhalten des Kindes abhängig; das Kind riskiert diese Zuwendung, wenn es sich nicht so verhält, wie es die Mutter und später andere Autoritätspersonen verlangen oder erwarten. Solche Erfahrungen lösen schon im Säugling Todesängste aus, weshalb unerwünschte, von der Mutter durch Mimik, Gestik und Worte ausgedrückte Mißbilligung des Verhaltens des Säuglings bzw. Kleinkindes dazu führt, daß die daran beteiligten Selbstanteile im Kind verdrängt und mit der Zeit vollkommen abgespalten werden. Letzteres bedeutet, daß das Kind diese Selbstanteile nicht mehr wahrnimmt, weil sie nicht mehr ins Bewußtsein gelangen, und stattdessen einen Ersatz konstruiert, der sich an den Wünschen der Mutter orientiert. So sichtert das Kind die weitere Zuwendung, die Mutter ist wieder »lieb« und die Welt scheint wieder in Ordnung.

Wie schon in der Beziehung zur narzißtischen Mutter verlangt das narzißtische Konstrukt des Kindes nach ständiger Bestätigung. Solche Kinder können nicht selbständig in sich hineinhorchen, um zu entscheiden, ob ihr Verhalten richtig oder falsch ist, sondern sie benötigen zur Orientierung immer jemand anderen, der ihnen sagt, wo es lang geht. Das liegt unter anderem auch daran, daß der Narzißt im Grunde immer ein autoritärer Persönlichkeitstyp ist, der vor allem darauf aus ist, sein soziales Umfeld zu kontrollieren, um die so dringend benötigte Anerkennung und Aufmerksamkeit zu erhalten. Eine wirkliche, echte Bezogenheit auf die Mitmenschen findet beim Narzißten nicht statt, sein Identitätserleben ist darauf ausgerichtet, ständig die Anerkennung zu fordern, die ihm scheinbar zusteht.

Rainer Funk, der Nachlaßverwalter von Erich Fromm's Werk, unterscheidet zwischen Narzißmus und autoritärem Charakter: (3)

Beim autoritären Gesellschafts-Charakter ist die Grundleidenschaftlichkeit eine andere als beim narzißtischen. Der Autoritäre will beherrschen und Macht ausüben und ist deshalb an allem Schwachen, Ausbeutbaren, Beherrschbaren, Kontrollierbaren interessiert und auf es bezogen, um gewalttätig sein zu können. Seine Gewalttätigkeit ist motiviert vom Vereinnahmen, Festhalten, Unterdrücken, Binden, Unterwerfen, kurzum von einer Bezogenheit, bei der er die Macht und Herrschaft hat, die von ihm kontrolliert wird. Die für alle autoritäre Gewalt gegen das Schwache typische symbiotische Bezogenheit fehlt bei der narzißtischen Gewalttätigkeit. Diese ist immer von einer mehr oder weniger großen Distanzierung und Gleichgültigkeit, von Unbezogenheit und Autarkiestreben bestimmt. Der Narzißt strebt letztlich immer danach, sein Eigenes, seine Identität zu sichern, und distanziert sich deshalb von allem, was nicht wie er ist. Beobachtet man gewalttätiges Verhalten, so ist es oft schwer, die zugrunde liegende Triebdynamik zu erkennen. Dies gilt insbesondere für die Abgrenzung zwischen autoritärer und narzißtischer Gewalttätigkeit. Bei der vergleichsweise noch erhöhten Gewalttätigkeit in den ostdeutschen Bundesländern findet man sehr viel mehr autoritäre Gewalt gegen Schwaches; deshalb auch der viel stärkere Rückgriff auf die Gewaltsymbole des Nationalsozialismus und die »Machtübernahme« durch die Rechten. Gleichzeitig hat die Ausdehnung der Grenzen Westdeutschlands bis an die polnische und tschechische Grenze eine massive Entwertung von allem, was in der DDR wertvoll – und auch zu Recht wertvoll – war, zur Folge, so daß der Identitätsverlust der ostdeutschen Menschen vermehrt zu einer narzißtischen Gewalttätigkeit gegen alles Nicht-Deutsche führte.

Die Spitze des Eisbergs narzißtischer Entwicklung ist der Soziopath, der im Grunde gar nichts mehr fühlt außer vielleicht oberflächliche Befriedigung und Angst davor, entlarvt zu werden. So wie ich es sehe, werden wir seit langem von solchen Soziopathen gesteuert, die sich durch ihre Skrupellosigkeit und Raffgier große Vermögenswerte anzueignen wußten und wissen, mit deren politischer Macht sie nennenswerten Einfluß auf die menschlichen Gesellschaften nehmen. In einem sozialen und wirtschaftlichen Umfeld, das vor allem jene belohnt, die sich auf welche Weise auch immer Geldmacht zu verschaffen wissen, und all jene unterdrückt und sogar bestraft, die nichts haben, ist es kein Wunder, daß sich mit der Zeit immer mehr der autoritäre Charakter und der Narzißmus als Gesellschaftscharakter entwickelt haben. So kommt es dann, daß die Zahl der absolut Gehorsamen ständig im Zunehmen begriffen ist, während diejenigen, die kritisch und widerständig sind, immer stärker bedroht werden.

(1) https://www.pdfdrive.com/propaganda-die-kunst-der-public-relations-e187400683.html

(2) http://www.magazin-auswege.de/data/2012/02/Eisenberg_Unterm_Strich_zaehl_ich_Vollstaendige_Textfassung.pdf

(3) http://www.fromm-gesellschaft.eu/images/pdf-Dateien/Funk_R_1994b.pdf

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