motorbit schrieb am 13.04.2024 21:10:
Nach Lesen ihrer Texte wird mir klar, dass ich offenbar unter latentem Antisemitismus leide.
Hierfür schäme ich mich sehr, da ich mich gewöhnlich sehr für eine offene, plurale, inklusive und gerechte Gesellschaft einsetze und glaube, dass jeder Mensch das Recht auf ein glückliches Leben hat.Sie schreiben nun aber:
Wer 2024 noch immer nicht zur Kenntnis genommen hat, wie viele linke, kommunistische und auch anarchistische Elemente in den frühen Zionismus eingeflossen sind, wer noch nie vom Arbeiterzionismus gehört hat, der sollte einen solchen Kongress nicht veranstalten
Allerdings habe ich versucht, nachzuvollziehen, wofür Zionismus steht. Ich habe den Eindruck gewonnen, dass es eine politische Strömung ist, die vertritt, dass ein Staat Israel ein Staat von und *nur* für Juden sein soll. Hierdurch scheint sich Zionismus von anderen (auch unter israelischen Juden vorhandenen) politischen Strömungen abzugrenzen, die glauben, dass auch nicht Juden Israelis sein können.
Ich kann jetzt nicht umhin, in dieser Definition von Zionismus den Wunsch nach einem Ethno-Nationalstaat zu erkennen.
Ich will diesen Wunsch oder das Recht darauf auch gar nicht infrage stellen; ich bitte sie nur um eines:
solche nationalen Positionen scheinen mir unvereinbar mit sozialistischen oder gar anarchistischen Ansichten. Bei der Verbindung dieser Konzepte kommen mir spontan ganz andere Assoziationen als "links".
Die Fragestellung als Solches ist nicht falsch. Aber schau Dir das mal im erweiterten geschichtlichen Kontext an. Antisemitismus gibt es in allen christlich und muslimisch geprägten Ländern. Und bei beiden Religionen hängt der Antisemitismus mit ihrer jeweiligen Gründungsgeschichte zusammen. Die Christen werfen den Juden den Verrat an Jesus vor - die Moslems werfen den Juden die theologische Konflikte mit Mohammed in Medina vor. Und dieser Haß wird seit Jahrtausenden immer wieder durch Interpretationen der Bibel und des Koran genährt.
Die Juden haben also gelernt - überall dort wo sie in der Minderheit sind - haben sie unter Christen und Moslems zu leiden. Dort sind sie Menschen 2. oder 3. Klasse.
Und auch der Sozialismus war nie frei vom Antisemitismus (z.B. https://de.wikipedia.org/wiki/%C3%84rzteverschw%C3%B6rung ). Und angesicht der vielen christlichen und islamischen Ländern weltweit gab es gar nicht so viel Auswahl, wo die Juden nach 1945 hätten hingehen können. China und Japan sind zwar traditionell nicht antisemitisch - haben aber ihre eigene Form des Rassismus gegen andere Kulturen - abgesehen davon war Japan Ende der 40er zerstört und China im Bürgerkrieg.
Die Nazis wollten die Juden u.a. nach Madagaskar umsiedeln (solche Pläne gab es bis ca. 1940), die Briten hatten einen Teil von Uganda im Blick. Aber aus heutiger Sicht wäre Uganda schon wieder eine Katastrophe, wenn man sich anschaut wie extrem evangelikal Uganda geworden ist. Da gibt es aus christlichen Motiven für Homosexualität jetzt auch Strafen bis zur Todesstrafe (https://de.wikipedia.org/wiki/Homosexualit%C3%A4t_in_Uganda).
Also stellt sich abschliessend die Frage - was hätten die Juden bzw. Zionisten statt dem Drang nach einem eigenen Staat machen sollen?
Könnten sie Ihre Position hierzu vielleicht etwas ausführlicher erläutern, so dass es mir auch ohne die ihnen gegebene Weisheit möglich ist, ihre Einsichten zu begreifen?
Vielen Dank!