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  • the observer

mehr als 1000 Beiträge seit 18.07.2001

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Roger Wilco schrieb am 15. März 2006 16:15
> the observer schrieb am 15. März 2006 12:04

> > Der Meinung bin ich überhaupt nicht. Die Aufgabe der Schulen kann
> > nicht sein, Versäumnisse des Elternhauses auszubügeln oder
> > Hilfestellung zu geben, wie man sich im Alltagsleben zurechtfindet.
> > Vielleicht kommt gar noch jemand auf die Idee, ein Unterrichtsfach
> > einzuführen, in dem man lernt Formulare für Hartz IV oder die
> > Steuererklärung ausszufüllen?

> Aber Lesen und Schreiben sollen die "Dummchen" noch beigebracht
> bekommen, die das nicht schon vorher bei Mammi und Papi gelernt
> haben?

Es geht nicht um Lesen und Schreiben; was ich meine, fällt unter die
Rubrik "Sozialverhalten".

> Im Gegensatz zu Ihnen sehe ich es durchaus als eine (Teil-)Aufgabe
> der Schule an, grundlegende Kenntnisse zu vermitteln, die man
> vielleicht als "Gesellschaftskunde"  einordnen könnte.

Ich bin ganz Ihrer Auffassung und möchte das "grundlegend"
herausstreichen. Möglicherweise gehen unsere Auffassungen dahingehend
auseinander, was in diese Rubrik einzuordnen ist und was herausfällt.

> Ob heute noch
> wie zu meiner Zeit Handarbeiten oder Werken (zeitweise) unterrichtet
> wird, entzieht sich meiner Kenntnis. Aber ob es - gerade weil vom
> Elternhaus hier Defizite bestehen - nicht weitaus sinnvoller ist,
> hier für einen gewissen Kenntnisstand zu sorgen als darauf zu
> bestehen, daß die lieben Kleinen "wissen", wann und wo Karl der
> Kleine Klaus dem Lahmen das Wurstbrot gemopst hat!? Nicht, daß ich
> Geschichte als "unnützes" Fach betrachte, aber die übliche Zahlen-
> und Ereignishuberei führt doch in der Regel dazu, daß vor der
> Klassenarbeit kurz gepaukt wird und danach möglichst rasch möglichst
> viel wieder vergessen wird.

Ich beharre nicht auf der Schulmeisterei alten Stils, mit Aufsagen
aller Jahreszahlen bis hin zur Gründung des Deutsche Reichs
(ansonsten der Rohrstock als Motivationshilfe bemüht wird).

> Nun kann man sich natürlich hinstellen und beklagen, daß die Schüler
> zuhause nicht mehr hinreichend "Grundlagen" beigebracht bekommen, mit
> den Schultern zucken - "es sei schließlich nicht Aufgabe der Schule"
> - und hinzunehmen, daß die jungen Menschen später aus Unwissenheit
> auf die Nase fallen. Da die Einführung eines Pflichtkurses
> "Elternschaft" und der Erwerb eines "Elternführerscheins" bestenfalls
> scherzhaft gefordert wird, so bleibt entweder die Hinnahme des
> Mißstandes (und dessen Folgen) oder für Abhilfe zu sorgen.

Ja, hier wirds eigentlich interessant, denn hier zeigt es sich, wohin
unsere Gesellschaft driftet. Leider (da ich nach wie vor der Meinung
bin, die Schule kann aus unterschiedlichsten Gründen kein Ersatz für
fehlendes Engagement in der häuslichen Umgebung sein) fürchte ich,
daß sich das Problem quasi im Selbstlauf lösen wird. Eine Tendenz
solcher Tragweite kann man nicht einfach stoppen oder ihr
entgegenwirken, ohne daß nicht die ganze Gesellschaft einschließlich
ihres eigenen Wertesystems grundlegend reformiert wird. Und da die
Gesellschaft entgegen anderslautender Meinungen (auch hier immer
wieder zu lesen!) "nicht zuerst die anderen, sondern vor allem ich"
bedeutet, wird das vorhaben wohl scheitern, denn die eigene Meinung
ist mir schließlich heilig, und alle anderen haben zunächst unrecht,
nicht wahr?

> Da die
> Einflußnahme über/auf die Eltern bestenfalls indirekt erfolgen kann
> (s. o.), bleibt eigentlich nur, den direkten Weg zu gehen und den
> Schulunterricht um entsprechende Einheiten zu ergänzen.

Die Art von Erziehung, um die es mir geht, ist eindeutig Aufgabe der
Eltern, und ich wüßte nicht, wer sie ihnen abnehmen sollte, und vor
allem, mit welcher Rechtfertigung.

> Ob nicht auch
> Themen wie "gesunde Ernährung" und/oder die eigenständige Zubereitung
> von Mahlzeiten dazugehören sollte, wäre ja auch zu diskutieren. Sieht
> man, wieviele Kinder bereits falsch ernährt sind und wieviele sich
> schon aus Unkenntnis keine gesunde Mahlzeit zubereiten können, weil
> sie es zuhause auch gar nicht mehr vorgelebt bekommen, dann brauchen
> wir uns über Folgeschäden nicht zu wundern.

Kein Widerspruch zum letzten Satz. Dennoch bleibe ich dabei - das
gehört nicht in die Schule. Die Kinder fangen nicht erst an, mit 6
Jahren Nahrung zu sich zu nehmen (ich persönlich kann mich jedenfalls
kaum an einen derartigen Fall erinnern). Meinen Sie etwa, die Lehrer
sollten den ganzen Zyklus der Nahrungsbeschaffung, -zubereitung und
-aufnahme mit den Kindern im wahrsten Sinn des Wortes durchkauen?
Denken Sie vielleicht, daß Kinder das nachmachen, was ihnen die
Lehrer vormachen, oder daß sie nicht vielleicht zuhause, in der
Umgebung von Cola, Pommes frites und Popcorn, in ihr gewohntes
Verhalten zurückfallen? Meinen Sie wirklich, die Kinder geben dem
Vollkornbrot und dem Käse den Vorzug vor den süßen, immer
raffinierter und gleichzeitig immer künstlicher werdenden
Errungenschaften der Lebensmittelindustrie (unterstützt von der
Werbebranche) den Vorzug, nur weil sie das der Lehrer in der Schule
gelehrt hat - ja, wenn man sie nicht dazu (und mit eigenem Beispiel
vorangehend) erzieht? Wenn doch die Eltern nach wie vor kaufen, was
süß, klebrig, fett und bunt ist?

Nein, das kann nich einfach nicht glauben.

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