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mehr als 1000 Beiträge seit 18.03.2009

Re: Mischen, mischen, mischen

> Also bitte, gestern haben Sie drei Cent zuviel Rückgeld bekommen und
> es nicht zurückgegeben, dann seien Sie beim Thema Korruption mal ganz
> still.

Zuviel gezahltes Wechselgeld nicht zurückzugeben, ist keine Straftat.
Jedenfalls verneint ein Großteil der Rechtssprechung und Rechtslehre
dies, da man keine Aufklärungspflicht hat und auch sonst den Irrtum,
dem der oder die Kassiererin unterliegt, weder hervorruft noch
irgendwie aufrechterhält, wenn man einfach nur nichts tut, das Geld
nimmt und geht (anders: wenn man z.B. behauptet, mit einem größeren
Schein bezahlt zu haben, was jedoch nicht stimmt, dann glasklar
Irrtumserregung und somit Betrug). Korruption, also Bestechung und
Bestechlichkeit sind hingegen sehr wohl strafbar. Hier sind Sie es,
die zwei verschiedene Dinge in einen Topf werfen.

> Irgendwie wird derzeit beim Thema Korruption einfach alles wild
> durcheinandergeworfen - Ordnungswidrigkeit, Straftat.. ist ja
> irgendwie alles nur eine Zutat im "wir sind doch alle
> Bescheißer"-Eintopf.

Das ist kriminologisch betrachtet sogar völlig korrekt: 98% aller
Deutschen haben in ihrem Leben mindestens schon einmal eine Straftat
begangen. Delinquenz ist geradezu ubiquitär. Das sollte doch sehr
verwunderlich sein, wenn sich ausgerechnet im Telepolis-Forum die 2%
Legalisten tummeln.

> Hier wird dann auch noch die (geistige) Reife außer Acht gelassen
> (Schüler vs. Erwachsener).

Ganz im Gegenteil: In solchen Studien werden IMMER verschieden starke
Delikte abgefragt, gerade zur Ausdifferenzierung und Aufdeckung der
Grauzone. Es bringt überhaupt nichts, wenn man da z.B. nur Mord
abfragt. Da hat man plötzlich 100% Legalisten. Anfang des
Jahrtausends gab es mal eine interessante Studie zur
Alltagskriminalität in Deutschland. Falls es Sie interessiert, such
ich den Link nochmal raus. Die umfasste ziemlich viele interessante
Delikte, die sog. Jedermannskriminalität, und ermittelte auch
gleichzeitig die Einstellungen der Befragten zu marktkonformem
Verhalten. Sehr spannend, was da rauskam.

> Und dann werden auch noch Netzwerke und Bestechung zusammengemischt.

Das ist auch richtig so: Nach dem bisherigen Forschungsstand gibt es
vier große Ursachen für Wirtschaftskriminalität im Allgemeinen und
Korruption im Besonderen: Differenzielle Kontakte (vgl. Sutherland,
Lerntheorie), Subkultur (vgl. Cohen), Neutralisierungstechniken (vgl.
Matza/Sykes) und eben Netzwerke. Die Wahrscheinlichkeit, dass jemand
korrupt wird, wenn er in einem korrupten Umfeld arbeitet, mit den
dazugehörigen divergierenden Werten und den entsprechenden
Neutralisierungen ("andere bescheißen doch auch", vgl. Sogwirkung der
Wirtschaftskriminalität) ist wesentlich höher, als wenn jemand in
einem Umfeld arbeitet, in dem kein abweichendes Verhalten an den Tag
gelegt wird. Von wem sollte man es auch sonst lernen, wenn nicht von
den Profis?

> Netzwerke können schlichtweg auch Informationen weitertragen

Genau, das tun sie. Kriminelles Verhalten ist ja dahingehend wie
jedes andere Verhalten: Es wird erlernt, und zwar besser und
schneller, je eher man sich in einem kriminellen Netzwerk bewegt. Zu
dem gleichen Ergebnis kommen Untersuchungen über den Strafvollzug
(vgl. "Infektionsvollzug"), wo Neulinge von den Profis lernen. Hierin
unterscheidet sich z.B. die Deutsche Bank keineswegs von der JVA
Fuhlsbüttel. Beides lediglich Netzwerke, in denen Informationen
weitergetragen werden, ja ja.

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