Zustimmung hinsichtlich der Skepsis gegenüber den Verfassungsschutzämtern, jedoch Widerspruch, was die Bewertung von Terrorismus anbelangt. Ob von links, rechts, religiös oder sonstwie politisch motiviert, sind Terrorakte stets abzulehnen, egal welcher Personenkreis angegriffen wird. Daneben existieren gewissermaßen terroristische Modeströmungen, die dann jeweils einen extremistischen Zeitgeist verkörpern; so kam es zum mittlerweile irrelevanten Linksterrorismus der RAF, die übrigens, wenn auch aus ganz anderen Motiven, ähnlich antisemitisch dachte, wie man es seit jeher vom Rechtsterrorismus oder heute auch dem islamistisch motivierten Extremismusspektrum erwartet, das man, jedenfalls in Europa, erst seit wenigen Jahrzehnten kennt.
Interessanter sind allerdings die Fragen, ob oder wozu ein freiheitlicher Rechtsstaat Inlandsgeheimdienste überhaupt braucht sowie, falls man diese Notwendigkeit prinzipiell bejaht, über welche Kompetenzen solche Behörden maximal verfügen sollten.
Historisch hatten Inlandsgeheimdienste meines Wissens lediglich zwei Aufgaben: Spionageabwehr und Aufstandsprävention. Denn für alles, was sonst noch für Bevölkerung oder Staatsmacht bedrohlich wirken konnte, war irgendeine Polizei zuständig, und die restlichen Probleme wurden innerhalb der lokalen Zivilgesellschaft gelöst, etwa der Umfang des jeweils wünschenswerten Meinungskorridors. Noch bis vor hundert Jahren waren Staaten in weiten Teilen der Welt vermutlich viel schwächer als heute bei uns in Deutschland, wo letztlich niemand mehr vor geheimdienstlicher Kontrolle sicher sein kann. Hierfür genügt wohl bereits eine einzige Person im Freundeskreis, deren vermeintliche Verfassungsfeindlichkeit dann allen in einem solchen Fall zwangsläufig mittels geheimdienstlicher Methoden ohne Justizvorbehalt Mitüberwachten nicht einmal bewusst sein mag.
Im Alltag können diese sozusagen Beifang-Betroffenen schließlich nicht nur in den wirklich sehr seltenen Terrorismusverdachtsfällen vorkommen, denn die Liste verfassungsschutzrelevanter zivilgesellschaftlicher Interessen wird von Jahr zu Jahr länger. Diese Ämter interessieren sich nicht nur für politischen oder religiösen Extremismus, sondern auch für mehr oder minder esoterische Sekten, für manche Verhöhnung des Staates oder von Amtspersonen sowie in einigen Bundesländern sogar für Bereiche organisierter Kriminalität mit eigenem Ehrenkodex; letztlich für all die Teile der Zivilgesellschaft, die weltanschaulich vom behördlich empfohlenen Mainstream abzuweichen scheinen. Von solch einer Überwachung jenseits der Justizorgane erfahren Betroffene normalerweise nichts, gerade weil sie eben nicht erkennbar ausgeforscht werden sollen, was zudem den bei anderen Behörden immer möglichen Beschwerdeweg über irgendeine Dienstaufsicht prinzipiell verbauen wird.
Wer kontrolliert eigentlich diese vielen Verfassungsschutzämter, um Machtmissbrauch zu erschweren? Über wie viele Vertrauenspersonen verfügen diese Inlandsgeheimdienste insgesamt deutschlandweit, welche sonstigen Überwachungsmethoden werden wie oft pro Jahr eingesetzt, welche Bereiche sind, zum Beispiel online mittels Künstlicher Intelligenz, bereits wie stark automatisiert und wie sieht danach normalerweise die Kosten-Nutzen-Relation aus? Welche Folgen im Alltag könnte eine Überwachung vielleicht zu Unrecht Betroffener haben, wie geht man überhaupt mit möglichen Fehlern um? Im Unterschied etwa zum früheren ostdeutschen ging das bundesrepublikanische liberale Gesellschaftsmodell immer davon aus, dass auch eine völlig unbemerkte Überwachung die zivilgesellschaftliche Freiheit empfindlich einschränkt, denn niemand sollte sich im Alltag wie in einem Gefängnis fühlen müssen, und deshalb, sofern überhaupt wünschenswert, in Art und Umfang begründungspflichtig sein sollte.
Und unabhängig von Kontrolle oder Kompetenzumfang der Inlandsgeheimdienste ginge es in einer gesellschaftlichen Debatte einmal mehr um den Preis von Verbrechensprävention im Allgemeinen, der stets in einem gewissen Freiheitsverlust besteht. Weniger Überwachung könnte zu mehr vollendeten Terroranschlägen führen, doch ab welcher Überwachungsintensität wäre der Freiheitsverlust noch schlimmer? Solche Fragen rund um die Balance zwischen Sicherheit und Freiheit lagen in der Pandemiezeit ständig in der Luft, spielen in vielen Kriegen eine große Rolle und bilden den Rahmen für jedes Konzept zur inneren Sicherheit. Was man hier für richtig hält, hat womöglich kaum etwas mit dem üblichen Schema von politisch links bis rechts zu tun, sondern mit der politischen Dimension liberal oder gar libertär bis hin zu autoritär oder gar totalitär. Sofern dies zuträfe, dann hinge die Befürwortung von Überwachung von individuellen Erwartungen hinsichtlich des gesellschaftlichen Zwecks von Staatlichkeit ab; wer an Staaten wie an freundliche Gottheiten glaubt, wird auch Inlandsgeheimdienste lieben.