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  • multicast (1)

67 Beiträge seit 13.03.2017

Re: Mal zur Pisa-Studie

Würde man mal ehrlich sein und in Pisa-Ergebnisse mit/ohne Migrantenanteil unterteilen, dann würde die Gruppe der Schüler ohne Migrationshintergrund wahrscheinlich in die Top Ten kommen.

Mit Sicherheit nicht. Reden wir mal vom Verfall der Schulbücher im Fach Mathematik in NRW; der Untergang fing nach 2002 an. Im damaligen Lambacher-Schweizer, etwa Klasse 8, finden sich dich tatsächlich Doppelseiten, angefüllt mit Aufgaben, die heute verpönten "Päckchenaufgaben", in welchen Dasselbe immer wieder geübt wird, bis es sitzt, wie bspw. beim Erlernen eines Instrumentes. Im aktuellen Lambacher-Schweizer hingegen werden sinnfreien "Forschungsaufträge" sowie "Erkundungen" dargestellt, das Üben algebraischer Fähigkeiten beschränkt sich auf ein paar Zeilen Aufgaben. Eine solide handwerkliche Ausbildung schaut nun anders aus, alles wird dem bildungsfeindlichen Prinzip "Kompetenz und Methode" unterworfen. Algebraische Bruchrechnung findet sich etwa seit 2008 nicht mehr im Lehrplan. Funktionales Denken wird nicht mehr gelehrt. Dieser Fluch kehrt dann in Klasse 10 zurück, wenn die Pennäler allen Ernstes fragen, wie groß denn x bei f(x) = 2x + 3 sein soll.

Oder nehmen wir Klasse 7. Damals™ wurde den jungen Menschen Beweisverfahren beigebracht, von denen heute nichts mehr zu finden ist. Jegliche Beweisführung wurde aus den Lehrplänen gestrichen -- schaut so etwa die Bildung von Mündigkeit aus? Man muss halt "glauben", dass der Berührradius senkrecht zur Tangente steht -- sofern Kreistangenten überhaupt noch Platz im "Kompetenz und Methode"-Irrsinn finden. Von direkten oder indirekten Beweis, vom Beweis durch Widerspruch, modus ponens und dergl. keine Spur. Muss man halt glauben, dass in einem gleichschenkligen Dreieck auch zwei Seiten übereinstimmen. Geometrische Konstruktionen nehmen keinen Raum mehr ein, und falls ausnahmsweise doch, schauen die Konstruktionen wie Kohlezeichnungen aus -- der handwerkliche Umgang mit Zirkel und Lineal wird nirgends erlernt.

Wie zum Henker soll man denn etwa den Umfangswinkelsatz "erkunden"? Ich jedenfalls war als Zwölfjähriger baff, als mein Lehrer diesen Satz vorstellte -- es erschien mir unglaublich: Das kann doch gar nicht sein! Doch die Unumstößlichkeit erwies sich eben im Beweis. Diese Verblüfftheit und das Staunen zu wecken und zu bewahren, ist eine der wesentlichen Aufgaben des Lehrers.

Auffällig ist, dass der Stoff der ehemaligen Klasse 7, also elementare Geometrie und Beweisverfahren, hier in NRW heute als einsemestrige Vorlesung abgehalten wird. Man fasst es nicht.

In Oberstufenwerken finden sich massenweise fehlerhafte Definitionen (im aktuellen Lambacher-Schweizer ist bspw. der Begriff des Minimums einer Funktion unsinnig) und haltlose Behauptungen. So wird bspw., um den Schein eine "Herleitung" zu wahren, das Integral mittels Ober- und Untersummen allenfalls "motiviert" und dabei frech behauptet, dass bei einer Verfeinerung die Untersumme monoton steigend ist. Davon bekommt der Schüler allerdings nix mit, denn derselbe hat ja das elementare Beweisen noch nicht einmal im Ansatz lernen dürfen. Genzwertrechnung ist vollkommen getilgt ...

Beinahe die gesamte Differentialrechnung wird dem goldenen Kalb der "Wachstumsrate", die dann auch noch "im Sachkontext" gedeutet werden soll, unterworfen. Da nun die Versäumnisse der Mittelstufe verhindern, dass gebrochen-rationale Funktionen untersucht werden können -- wir erinnern uns: algebraische Bruchrechnung wurde verboten --, kommen dann im wesentlichen Funktionen vom höchsten dritten Gerades dran: denn die Bestimmung der Nullstellen von höheren als quadratischen Gleichungen ist ebenfalls aus dem Lehrplan verbannt. Und überdies das Lösen von quadratischen Gleichungen allenfalls oberflächlich "erlernt".

Und überhaupt stehen sinnfreien Aufgaben mit "Sachzusammenhang" im Vordergrund, vom Raub- und Singvogel, die, wie auch sonst, auf geradlinigen Flugbahnen mit konstanter Geschwindigkeit über dem Frühnebel fliegen. Ferner sind die Aufgaben im sog. "Abitur" derart kleinteilig formuliert, dass einen das Grauen überkommt.

Auch die Grundschule soll ihr Fett wegbekommen. Das Kleine Einmaleins muss jedes Kind nach dem zweiten Schuljahr *auswendig* können, und dazu zu muss man keine zukünftiger Quantenmechaniker sein. Das aber darf man den Kindern ja "nicht antun", Auswendiglernen ist ja wenig "kreativ". Da verwundert nicht, dass die Division im dritten und vierten Schuljahr nicht klappt. Die Kinder werden dann zu Dyskalkulanten abgestempelt, haben aber nur versäumt, etwas auswendig zu lernen.

Und das ist eben PISA geschuldet, denn PISA schafft Wirklichkeiten. Die Lehrpläne werden nicht aus der Sache des Faches selbst geschöpft, sondern darauf abgestellt, möglichst gut in dem von Andreas Schleicher von der OECD mit angezettelten Test abschneiden -- was zum Gehörnten hat denn die OECD mit Bildung zu schaffen?!

Die jungen Menschen werden in der Schule geistig vergewaltigt und deren Geist verödet, ein eigenständigen Denken wirkungsvoll unterdrückt. "Problemlöser" besteht im Abspulen auswendig gelernter "Anleitungen". Kritische Eigenständigkeit wird so erfolgreich unterdrückt. (Hießen die Personen, die eine kritische Eigenständigkeit besitzen, nicht auch "Skeptiker"?)

Sofern man nun die Frage: "cui bono?" versucht zu beantworten, käme man leicht in den Bereich von Verschwörungen. Wer in aller Welt hat ein Interesse an halbgebildeten Automaten, die nur nach Bedienungsanleitungen, sofern sie diese verstehen, "handeln" können und jegliche Eigeninitiative ausgetrieben bekommen haben?

Das Posting wurde vom Benutzer editiert (01.01.2024 19:46).

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