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  • Leser2015

476 Beiträge seit 19.11.2015

Betrifft das Gutachten überhaupt die aktuelle Militäroperation in der Ukraine?

Aus meiner Sicht als Nichtjurist darf man zwei völkerrechtlich getrennte Verbote nicht vermengen: Gewaltverbot und Interventionsverbot. Das Gutachten befasst sich nur mit der Anerkennung der »Volksrepubliken« hinsichtlich des Interventionsverbots, worum es schon im unter Fußnote 12 aufgeführten Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste (»Intervention in Bürgerkriegsgebieten: Zur Rolle Russlands im Ost-Ukraine-Konflikt«, 9.12.2019) ging; da findet man (bereinigt um Fußnoten & Hervorhebungen) auf Seite 11:

»Die finanzielle oder logistische Unterstützung bewaffneter Aufständischer, die nicht die Schwelle einer zurechenbaren direkten oder indirekten Gewaltanwendung überschreitet, kann jedoch das sog. Interventionsverbot verletzen. Gewohnheitsrechtlich fungiert das Interventionsverbot also als "Auffangtatbestand" für Vorstufen zwischenstaatlicher Gewaltanwendung. Unter dem Begriff "Intervention" wird die Einmischung eines Staates in die inneren und äußeren Angelegenheiten eines anderen Staates verstanden. Danach darf kein Staat wirtschaftliche, politische oder andere (Zwangs-)maßnahmen gegen einen anderen Staat in der Absicht anwenden, diesen in seiner politischen Willensbildung sowie in der Ausübung souveräner Rechte zu beeinträchtigen. Das Interventionsverbot folgt aus dem Grundsatz der Staatensouveränität (Art. 2 Abs. 1 VN-Charta) und gehört zum Völkergewohnheitsrecht.«

Natürlich ist die russische Anerkennung der Separatistengebiete in der Ost-Ukraine danach so völkerrechtswidrig wie etwa einst die westliche Unterstützung der Aufständischen auf dem Euromaidan, aber aktuell umstritten ist doch das Gewaltverbot, mit dem sich das vorliegende Gutachten gar nicht befassen möchte:

»Die Anerkennung der "Volksrepubliken" ist auch Teil des russischen Rechtfertigungsnarrativs für den Angriffskrieg gegen die Ukraine, der jedoch nicht Gegenstand dieser Ausarbeitung ist.«

Diese im Gutachten unbelegte Behauptung, die bloße Anerkennung der Separatistengebiete sei Teil eines Rechtfertigungsnarrativs, ist vermutlich frei erfunden, denn es soll Russland doch explizit um die Verhinderung eines versuchten Genozids (https://de.wikipedia.org/wiki/Konvention_%C3%BCber_die_Verh%C3%BCtung_und_Bestrafung_des_V%C3%B6lkermordes) gerade an russischen Staatsbürgern gehen, wofür eine Anerkennung jener Gebiete völlig irrelevant wäre.

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