Um die Umkehrung der Angst- und Moralverhältnisse noch deutlicher zu machen, hier nun endlich (es hat etwas gedauert, ihn rauszusuchen) der Text, der mir stark zu denken gegeben hat. Eigentlich geht es um Ängste in der Paarbeziehung; uneigentlich kann man dies problemlos auf das Verhältnis zwischen Individuum und Gesellschaft in Sachen Corona übertragen: (Anm.: Hervorhebungen fett)
"Wer die Dynamik solcher Paare (Anm.: Ein Partner geht fremd, der andere spioniert hinterher) bearbeitet, wird aufmerksam für Versuche, Moral in den Dienst der Angsbewältigung zu stellen.
Wer spioniert, rechtfertigt sich durch die Heimlichtuerei des Gegenübers; wer verheimlicht, durch die Spionage. Schon Kindern wird die Pseudo-Gewissheit beigebracht, >>wer einmal lügt, dem glaubt man nicht! In jeder Gerichtsserie im Fernsehen ist Glaubwürdigkeit eine absolute Kategorie. Dem Zeugen wird nachgewiesen, dass er in seiner Aussage ein beschämendes Detail weggelassen hat. Sofort ist er unglaubwürdig.
Eltern bedrücken ihre Kinder mit Vorhaltungen, weit schlimmer als ein Vergehen sei die Tatsache, dass sie dieses nicht aufrichtig gestanden hätten. Und während kaum ein Mensch an einer roten Fußgängerampel wartet, wenn niemand sonst unterwegs ist, behaupten in einer Politikerbefragung Abgeordnete aller Parteien in großer Mehrheit, sie würden sich ganz selbstverständlich gesetzestreu verhalten, auf das niemand die Idee beschleiche, sie wüssten nicht, wie man den Anfängen wehrt und Vorbild ist. Die Verabsolutierung von Vertrauen und Misstrauen ist ein Beziehungsift. Sie reduziert komplexe Interaktionen entlang von Illusionen über absolute Sicherheit.
Traditionelle Religionen sind meist toleranter und kompromissbreiter als die moderne Helikoptermoral. Der Sünder beichtet, bereut und büßt. So findet er in den Stand der Gnade zurück. Freilich tut sich Gott auch leichter mit dem Verzeihen, denn er hat keine Furcht. Da er alles weiß, gibt es für ihn keine Überraschungen. Er wird nie gekränkt und voller Unsicherheit erleben, wovon er bisher nichts wissen wollte. Der Mensch braucht Illusionen, sicher zu sein, und nimmt über, wenn sie ihm zerbrechen."
(aus: Die geheimnisse der Kränkung...." - Wolfgang Schmidtbauer, 2018)
In diesem Text geht es um Verlustängste, die ja nichts anderes sind als Angst vor Verlust der sicherheit- und geborgenheitgebenden Bezugsperson, und werden manchmal als existenzielle Bedrohung wahrgenommen wird. Die Parallele zu Corona als ebensolche existentielle bedrohung ist klar. Vielen war anscheinend nicht klar, dass es jeden Tag vorbei sein kann. Und insbesondere die ältere Generation wurde die Illusion der Sicherheit genommen.
Dass dann ausgerechnet kinderlose Greisinnen ( ich denke da an Gestalten wir Merkel oder Altmeier) per Moral die Kränkung von Kindern anderer Menschen fordern, damit sie sich sicherer fühlen können, ist schon eine Umkehrung der Verhältnisse erster Güte.
Die zweite verdrehte Güte eröffnet dann Götz Eisenberg, welcher die Kritik an solcher Peversion als Angstphänomen wahrnimmt, freilich die eigene Angst verleugnet und verdrängt.
Das ist um einiges mehr als nur der Unterschied von 'Moralisch Sein' und 'Moral Haben' oder einer analytischen Definion, denn 'tugendhaft' sind ja sowieso alle...
Das Machtverhältnis zwischen Hauptmann (der vermeintlichen Gesellschaft) und Woyceck (dem vermeintlich doofen, faulen und feigen Bürger) ist das Interessante.
Das mit der Fußgängerampel...
Ich kann immer noch nicht fassen, dass auch Chomsky eingeknickt ist. Precht klar. Aber Chomsky?