Dieser Satz ist mir seltsamerweise in Erinnerung geblieben und stammt aus:
https://de.wikipedia.org/wiki/Woyzeck#Doktor
Die Aufführung dieses Stückes durch von Götz Eisenberg betreute Inhaftierte bezeichnete er meines Wissens als einen seiner Karrierehöhepunkte als Gefängnispsychologe - Und ja, die ethische Ambivalenz bzgl. seiner Rolle als "Doktor" ist genau mein Humor. Chapeau!
Die Frage warum sich jemand entscheidet, den Beruf des Gefängnispsychologen (also des "Dompteurs" der gefährlichsten Lebewesen auf Erden) zu ergreifen, beantworte ich mir u.a. mit dem Bedürfnis, die Mechanismen des großen Gefängnisses am Beispiel des kleinen Gefängnisses im Gefängnis zu ergründen.
(Vgl. Dürrenmatt: https://www.youtube.com/watch?v=ACvbhrEotqI)
Soviel zu den Ehren.
Was aber seine beiden letzten Artikel in Telepolis angeht, die "überwiegend nega-
tives bis feindseliges Echo hervorgerufen haben" wobei sich das "Leserforum als
eine Art Schlachtbank" (Zitate) erwies, so muss ich sagen:
"Sozialpsychologe, bleib bei deinen Leisten!"
Der Artikel "Von Ambilvalenz, Zweifel und Fanatismus" startet mit einem Zitat, angeblich von Kant, und ist eine Melange von Sozialpsychologie und Moralismus (also eben nicht Philosophie).
https://www.heise.de/tp/features/Von-Ambivalenz-Zweifel-und-Fanatismus-6266220.html
https://falschzitate.blogspot.com/2021/08/die-freiheit-des-einzelnen-endet-dort.html
Hier nun die Meinige Melange:
Den 'großen' Kant für seine eigene Position zu bemühen, hat so seine Tücken:
Einerseits appelliert Kant an die Leute, "sich seines eigenen Verstandes zu bedienen" (vgl. "Was ist Aufklärung"). Andererseits fordert er, immer die Wahrheit zu sagen, auch wenn ein Mörder vor Tür steht und nach dem Freund fragt.(vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/%C3%9Cber_ein_vermeintes_Recht_aus_Menschenliebe_zu_l%C3%BCgen)
Nachdem der neudeutsche Staatsphilosoph Precht - der übrigens nicht Philosophie, sondern Germanistik studiert haben soll - den alten preußischen Staatsphilosophen bemühte, um ein 'Stillgestanden vor der roten Ampel' zu fordern, denke ich, dass es zweckmäßig ist, mal ein paar (überspitzte) Zeilen zu Kants Deontologie zu schreiben.
"Wer Kants Philosophie folgt, der verrät auch Juden an die Gestapo." (Denn man muss ja immer und überall die Wahrheit sagen, zur Freude der Lügner.)
"Wer bei rot vor der Ampel stehen bleibt, auch wenn niemand sonst am Verkehr teilnimmt, der findet auch Geschmack am süßen und ehrenvollen Tod fürs Mutterland" (Denn so jemand geht auch bei Grün über die Ampel, wenn ein Lkw erkennbar nicht halten wird.)
Es war meiner Erinnerung nach Sartre, der das Bonmot zu Kant lieferte, dass "die Frage, ob ich meine kranke Mutter pflegen, oder mich der Revolution anschließen" solle, nicht von Kants Philosophie beantwortet werden kann. Es gibt keine Handlungsanweisung bei zwei Geboten.
Und es war wahrscheinlich Nietzsche, der zuerst auf den Induktionsfehler hinwies, der Kants Philosophie innewohnt. „Behandle andere nicht, wie du möchtest, dass sie dich behandeln. Ihr Geschmack könnte nicht derselbe sein.“, schrieb G.B.Shaw.
Aber die entscheidende Frage ist: Kann es ein Gesetz geben, sich der Revolution anzuschließen? (vgl. Kategorische Imperative). Natürlich Nicht.
Und nun komm ich zurück zum Thema Angst und schicke voraus, dass wenn Eisenberg die Coronamaßnahmenkritiker anfängt zu psychopathologisieren bzw. zu -infantiliseren, ich auch die Goldwaterregel ignorieren darf.
Zu den Unehren:
Götz Eisenberg ist 1951 geboren, gehört also mit 70 Jahren zur Risikogruppe. Die dadurch bedingte Angst vor dem Tod äußert sich in moralisierenden Artikeln mit dem Tenor: "Macht, was ich für vernünftig halte.". Der Autor entgegnet also seiner Angst mit (an sich positiv zu beurteilenden) Tätigkeit - Er ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit der Meinung, dass wenn alle Bürger geimpft sind, das Risiko einer letalen Coronaerkrankung für ihn minimiert wird. Er macht also das, was aus seiner Perspektive das Nötige, das 'Vernünftige' ist - Durchaus motiviert aus legitimen Eigennutz (Überleben!). Dazu benutzt er moralisch fragwürdige Artikel, explizit die Deontologie Kants. Diese bietet die Möglichkeit Kritiker der Coronamaßnahmen zu psychopathologisieren/ -infantilisieren ('Unmündigkeit') in der Form, dass seine Lösungsmöglichkeit der Impfung die einzig Vernünftige sei und bei den Kritiker weniger einen 'Mangel an Verstand' (ein beliebter Vorwurf der sogenannten 'Experten'), sondern es vor allem Ängste (also eine gewisse Form von 'Feigheit') z.b in Form von 'verschwörungstheoretischer Paranoia' seien, welche die Coronamaßnahmenkritiker vom 'Vernünftigen' abhielte.
Dies alles folgt der Pervertierung, Umkehrung und 'Ins-Gegenteil-verdrehen', welche in deutschen Landen seit Kants 'Aufklärung' gang und gäbe (siehe Anhang) ist. Herrn Eisenberg ist die Theorie Freuds zweifelsfrei bekannt, deren basale Prinzipien die Verdrängung und Umkehrung sind. Allerdings passiert das halt nur bei anderen...
Zur Klärung möchte ich folgendes Gedankenexperiment aufgeben:
Ein alter Mann ist Grossvater. Es gibt ein gefährliches Virus und ein Vakzin. Wenn der Mann sich impfen lässt, verringert er die Gefahr an dem Virus zu sterben etwas. Wenn er sich und seine Enkel impfen lässt, verringert er die Gefahr zu sterben etwas mehr. Allerdings gibt es dann die Gefahr, dass die Kindeskinder eine Herzmuskelschwäche erleiden, welche sie für den Rest ihres Lebens am herumtollen hindern wird. Lässt sich der alte Mann nur selbst impfen oder impft er auch seine Enkel?
...und wie sieht dieses Gedankenexperiment aus, wenn man die eigenen Enkel durch die Kindeskinder anderer Menschen ersetzt?
Schließen möchte ich diesen doch etwas umfangreichen und auch 'melangierten' Text mit der Antwort Woyzecks auf die Frage des Doktors: "Was fällt ihm ein, an die Wand zu pi..en?"
"Aber die Natur Herr Doktor. Die Natur."
Anhang:
Zunächst sei an den Vorwurf eines Grünenpolitkers erinnert, der den Coronamaßnamekritikern vorwarf, sich aus Faulheit nicht impfen zu lassen.
Hier zur Erinnerung die Sätze zur Aufklärung:
Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines andern zu bedienen. Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung.
Faulheit und Feigheit sind die Ursachen, warum ein so großer Teil der Menschen, nachdem sie die Natur längst von fremder Leitung freigesprochen, dennoch gerne zeitlebens unmündig bleiben; und warum es anderen so leicht wird, sich zu deren Vormündern aufzuwerfen. Es ist so bequem, unmündig zu sein.