... nicht erst seit dem 19. Jahrhundert als "Straftatbestand", wie Herr Schleim schreibt, sondern seit der Entstehung der Klassengesellschaft: "Aufwiegelei gegen die Obrigkeit".
Dass jemand, der mit dieser Begründung inhaftiert wird, weil man keinen besseren Vorwand finden konnte, ein politischer Gefangener ist, sollte eigentlich auch offensichtlich sein.
"Das Bild der niederländischen Demokratie hat nach über zehn Jahren Mark Rutte aber auch Risse bekommen ..." (Schleim)
Risse? Herr Schleim, der sich als Philosoph versteht, ist sich anscheinend nicht einmal über die Bedeutung des Wortes Demokratie im klaren.
Ich zitiere dazu Sebastian Haffner aus seiner Rezension (von 1967!) zu Agnolis "Die Transformation der Demokratie", weil seine seinerzeitigen Ausführungen zum "Zustand der Demokratie" m.E. auch die aktuelle Lage der Dinge relativ kurz und bündig zusammenfassen:
"Nominell leben wir in einer Demokratie, das heißt: Das Volk regiert sich selbst. Tatsächlich hat, wie jeder weiß, das Volk nicht den geringsten Einfluß auf die Regierung, weder in der großen Politik noch auch nur in solchen administrativen Alltagsfragen wie Mehrwertsteuer und Fahrpreiserhöhungen. Die Kluft zwischen Regierenden und Regierten, Obrigkeit und Untertan, Macht der wenigen und Ohnmacht der vielen ist in der Bundesrepublik, die sich als Demokratie bezeichnet, heute nicht geringer als etwa im Deutschen Kaiserreich, das sich offen als Obrigkeitsstaat verstand.
Dies, obwohl die traditionellen Einrichtungen einer Demokratie - Parlament, Parteien, Pressefreiheit usw. - alle vorhanden sind und funktionieren. Nur funktionieren sie plötzlich sozusagen im Rückwärtsgang: Einrichtungen, die eigentlich als Transmissionsriemen des Volkswillens nach oben dienen sollten, wirken stattdessen als Transmissionsmechanismus des Herrschaftswillens nach unten. Die Demokratie ist nicht abgeschafft, sie ist transformiert worden. Sie ist unter Beibehaltung der äußeren Formen in ihrem Wesen verändert worden - ein hoch interessanter, in seinem Endergebnis bereits allgemein als selbstverständlich hingenommener, in seiner inneren Mechanik aber noch fast unerforschter Vorgang.
Parallel mit diesem objektiven Vorgang hat sich ein noch rätselhafterer subjektiver abgespielt: Das entmachtete Volk hat seine Entmachtung nicht nur hingenommen - es hat sie geradezu liebgewonnen. Der einzelne, der von einem behördlichen Willkürakt betroffen wird, schimpft wohl gelegentlich; aber der Gedanke, dass sich in einer Demokratie etwas dagegen tun lassen sollte, kommt ihm meistens gar nicht. Und wenn Minderheiten - hauptsächlich Jugendliche, Studenten und Schüler - doch einmal von ihren demokratischen Rechten Gebracuh machen, demonstrieren oder protestieren, reagiert die Masse des Volkes darauf geradezu mit Wut, wie sich in Berlin nach dem 2. Juni 1967 gezeigt hat. Demokratisches Verhalten wird nicht nur als Störung von Ruhe und Ordnung empfunden - was es ja in gewissem Sinne ist und sein soll -, sondern groteskerweise als Angriff auf die Demokratie selbst, als Gefährdung der "freiheitlich-demokratischen Grundordnung"."
(Kurz als "Aufwiegelei" DJ H.)
.... usw.
(zitiert nach Agnoli, Die Transformation der Demokratie, Hamburg 2004, S. 213f.)