Agambens Neo-Heideggerismus ist durchaus nicht ohne Verdienste, ebensowenig wie jener ins Braune Abgeschlitterte selbst. Die Prophanisierung des Lebens durch das Bürgerliche Projekt, die Reduktion auf die Form, Unterjochung des Inhalts ist in der Tat ein mächtiger Erzeuger von Leere. Und um die kreisen solche philosophische Bemühungen wie um ein schwarzes Loch.
Der Machtzuwachs der Medizin, den Agamben konstatiert, ist nur ein Aspekt im Rahmen einer grösseren Aushöhlungsbewegung, den die Technokratie auslöst und befördert. Und alles ist weit weniger rational als es sich selbst darstellt. Bloss arbeitet sich Agamben am untauglichen Objekt ab. So wie schon Heideggers Eigentlichkeit ein falsches Ziel fand. Seuchen tangieren eben nicht nur das Leben des Einzelnen. Sie greifen tief ins Gesellschaftsgefüge ein und wecken dadurch starke Ängste. Jedwede Exekutive kann sich nicht nicht darum kümmern, sonst bleibt sie es nicht mehr lange.
Seuchen zwingen ihre Gesetze auf. Das hat primär nichts zu tun mit einer Diktatur unter medizinischen Vorzeichen, die allerdings in der Zeit davor und bis zu einem gewissen Grad nun schon wieder durchaus nicht nur immaginiert ist. Schon nur, dass der BIP-Anteil des Gesundheitswesens laufend zunimmt, deutet in diese Richtung, ebenso die Gesundheitstrends, deren Befolgung z. B. Essen zu einem durch eine Unzahl formaler Regeln durchzogenen Akt werden lässst, der seine sinnliche Essenz überwuchert.
Wir sind längst im Ausnahmezustand, aber nicht im medizinischen, sondern im ökonomischen. Die Finanz-Nomenklatura ängstigt sich vor einem endgültigen Zusammenbruch und versucht daher seuchenbedingte Einschränkungen auf ein Minimum reduzieren. Also ganz das Gegenteil von dem was Agamben und z. B. in Deutschland die Querschläger behaupten. Der Kapitalismus liegt auf der Intensivstation, man darf ihm nichts mehr zumuten. Agamben scheint dafür blind zu sein.