Ansicht umschalten
Avatar von Emrymer
  • Emrymer

mehr als 1000 Beiträge seit 28.08.2020

Realitätsverlust, Indifferenz und Orientierungs-Überforderung - und Smartphones

Ich würde dem Autoren dringend empfehlen, mehr Kontakt zur Wirklichkeit aufzunehmen.
Der ganze ach so gewaltige Einfluß von KI auf alles mögliche im und am Leben könnte ein reiner Schatten sein, ein Interpretament einer Erscheinung, hinter der sich ganz andere Einflüsse verbergen.

Wenn "die Jugend" (ach ja, babylonische Steintäfelchen!) zu Indifferenz neigt, dann könnte der Grund vielmehr darin liegen, daß genau das ihre beherrschende Welterfahrung ist. Jegliche Lust am Nachempfinden, Selbstgestalten, Selbstentwickeln wird ja gelähmt und erstickt durch eine unendliche Fülle an Verboten und Strafen.
Fanfiction geschrieben? Böse, böse, das verstößt gegen...
Ein gehörtes Lied für eine Tonaufnahme nachgesummt? Böse, böse, das verstößt gegen...
Ein Bild in einem spezifischen Stil nachgemalt? Böse, böse, das verstößt gegen...
Zu einer Tonaufnahme getanzt? Böse, böse, das verstößt gegen...
Gar nichts zu tun, ist der annähernd einzig verbliebene Weg, sich nicht strafbar zu machen.

Dazu tritt die Erfahrung, ohnehin keinen Unterschied bewirken zu können. In der Welt der bereits Erwachsenen, in der Schule, vor allem aber auch in der Politik ist der Effekt der je eigenen Einflußnahme asymptotisch an Null angenähert. Eintretende Veränderungen sind von anderen gesteuert und müssen schicksalhaft ertragen werden. Die Realität hat keinen Platz mehr für eine weitere Person als wirksame Person, also geht man der Realität verloren, ohne daß es für sie ein Verlust wäre - und dann kann sie einem selbst verlorengehen.

In diese Lücke ist das Smartphone als Universaldroge getreten. Kann man nichts selbst gestalten, kann man doch wenigstens bis zur Bewußtlosigkeit konsumieren, was andere gestaltet haben. Kann man an den relevanten Stellschrauben seines Lebens nichts ändern, kann man doch wenigstens die eigene Wunschliste gestalten lassen. (Man gestaltet sie ja kaum selbst, das tut ein technisches Verfahren.)

"Die Kultur" nebenbei wird weiterhin existieren. Aber nicht da, wo haufenweise "westliche Werte" umgesetzt werden, beim Millionenpublikum mit Milliardenumsätzen.
Und auch nicht da, wo "Gelehrte" sie ausschließlich in die Fesseln kluger Regelwerke und Gesetzlichkeiten schlagen wollen.

Sondern da, wo sie ursprünglich angefangen, immer auch existiert und ihre Wurzeln geschlagen hat: da, wo Menschen sie aus eigenem Antrieb, ohne Zwang (weder dem der Vermarktung noch dem der akademisierten Verregelung) und ohne Not gepflegt haben. Da, wo zur reinen Nützlichkeit eines Dings auch ein Ansehen seiner Ästhetik hinzugetreten ist, wo über die zwingende Notwendigkeit eine Gestaltung dazukommt, die nur der Erfreulichkeit verpflichtet ist. Wenn nun statt des Tontäfelchens die Tastatur zur Werkzeug wird, wenn die Steinwand vom Monitor abgelöst wird, wenn statt Mosaiksteinchen Voxel zum Einsatz kommen, wenn das Notenblatt in die Audioaufnahme übergeht, wenn Gänsekiel und Pinsel der Maus weichen... dann haben sich nur einmal mehr die Werkzeuge gewandelt. So, wie die Druckerplatte mit einem Druck mehr als nur eine einzelne Sache gestalten konnte, kann die KI mehr gestalten als nur einen einzelnen Teil einer Gesamtheit. Dennoch bleibt sie nur ein Werkzeug wie die Druckerpresse, die Farbsprühdose und dergleichen. Die Aktion beginnt bei und von einem Willen - dem Willen eines lebenden Wesens. (Gewöhnlich eines Menschen, aber auch Tiere können sich, wenn man ihnen die Mittel dazu gibt, künstlerisch betätigen.) Solange sich daran nichts ändert, bleibt die Kunst, was sie seit eh und je war und im Kern ist. Daß tumorartige Auswüchse (wie Hypes und Kommerzialisierungen) sich aufblähen und dann absterben, kommt immer wieder vor, macht aber nichts.

Bewerten
- +
Ansicht umschalten