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  • Struppi1

mehr als 1000 Beiträge seit 30.03.2005

Wer will etwas "restaurieren"?

Pnyx (1) schrieb am 01.05.2021 04:08:

Die Autorin schrammt leider am entscheidenden Punkt vorbei. Es geht nicht darum, ob Wagenknecht die fraglichen Zeiten nostalgisch verklärt oder nicht. Das tut sie wohl nicht. Sondern um die implizierte Behauptung, die Bewegungen weg von dieser Aufsteiger-Zeit seien willentlich-offensive gewesen, die auch hätten unterbleiben können, womit die Zustände vor den Siebzigern erhalten geblieben wären. Das ist eine ahistorische Sicht, die die Momente innerhalb eines langen kapitalistischen Zyklus völlig ausser acht lässt.

Bei deiner postulierten "ahistorie" läßt du völlig Reagan, Thatcher und deren erfogreichen Umbau zum - wie man es heute auch gerne nennt - Neoliberalismus ausser Acht. Das dahinter ein Wille stand ist wohl kaum bestreitbar.

Auf der anderen Seite gebe ich dir recht, dass das Kapital Zyklen braucht, aber ob diese einfach nur Momente sind klingt für mich fatalistisch. Ein wichtiger Aspekt dieser Bewegung war der Abbau von sozialen und Umweltrechten die bei uns in den 70'ern massiv gefordert wurden. In deren Folge konnte das Kapital ihre Produktionsanlagen und jede soziale Verantwortung unter dem schönen Begriff "Globalisierung" in arme Länder verlagern.

Das waren grosse orchestrierte Weltpolitische Vorgänge. Z.b. war die Gründung der WTO ein Meilenstein, der diese Entwicklung aus weltwirtschaftlicher Perspektive abschloss und alle zukünftige Handelspolitik mit dem Dogma des "freien" Handels und der Privatisierung aller mit dem Aussenhandel verbundenen Vorgänge vorschreibt.

Das sind die Hauptmerkmale dieses Neoliberalismus. Die Privatwirtschaft übernimmt das Zepter, sie bestimmen die Renditen und die juristischen Rahmenbedingungen, der Staat schaut zu und stellt die notwendige Verwaltungs- und Sicherheitsstruktur. Aber auf möglichst kleinen Niveau, er soll ja nicht die Kreise zu sehr stören.

Insofern war das ganze historisch betrachtet natürlich gesteuert.

Ein Zyklus wurde, wenn er überhaupt bestand, nur als Vorwand benutzt. Zum Beispiel der Abbau von Umweltverschmutzung, was in den 60'ern noch ein extrem einschneidender Faktor war, wurde hier in den 80'ern Hauptthema und einfach durch Verlagerung bedient. Die einsetzende Digitalsierung, am Anfang als Freiheit der Kommunikation verkauft, dient heute vor allem dazu Finanztransaktionen und Handel global unter die Kontrolle einer US Finanzelite zu halten.

Dabei ist aber dieses herausreissen von Kontrolle, Verantwortung, Versorgung und fundamentaler Dienstleistungen und deren Strukturen, der Hauptaspekt dieser Veränderungen und unterscheidet sich nicht von denen der voran gegangener Jahrezehnte.

Keine kapitalistische Phase ist nachhaltig, sondern eben stets nur Phase. Jede kommt zu ihrem krisenhaften Ende, worauf dann 'Reformen' apliziert werden um die ökonomische Viabilität wieder herzustellen.

Das hast du schön ausgedrückt, aber in Wirklichkeit sind diese Zyklen vor allem durch Krieg und/oder Zerstörung geprägt. Das Kapital braucht Rendite für ihre Investitionen, dafür ist ein stabiles immergleich laufendes System hinderlich. Je größer die Krise umso grösser die Kapitalgewinne.

Deshalb müssen regelmäßig Wirtschaftsvorgänge komplett auf den Haufen geschmissen werden, alles was vorher war zerstört werden und die Staaten dazu gebracht werden viel Kapital in den Aufbau neuer Dinge/Technik zu entwicklen.

Dazu eignen sich sehr gut Kriege, die aber auch dazu genutzt werden können andere Länder zu bestehlen oder - wie es die regelmäßig USA tun - anderen Ländern ihr Finanzsystem aufzuzwingen, da diese die sichersten Renditen erzeugen. Die USA haben nicht ihre Stärke durch ihre Produktion, sondern durch ihre Macht über den weltweiten Finanzhandel.

Deshalb ist auch aktuell HongKong so wichtig für die USA und vor allem China.

Dass dabei die Gewichte tendenziell von den Proletariern weg, zu den Kapitaleignern hin verschoben werden, liegt in der Natur des Vorgangs und ist den alerteren Kapitalisten gar nicht so lieb, wie man meinen könnte, weil diese wissen, dass eine zunehmende monetäre Polarisierung den sozialen Frieden, von dem sie leben, in Frage stellt. Aber auch den Kapitalisten selbst stellt sich das System als objektives dar, als ein undurchdringliches Geflecht von Sachzwängen, eine Naturmacht, der man unterworfen ist.

Tatsächlich?
Zunächst halte ich deine These vom "sozialen Frieden" als einen Kampfbegriff aus den 60ern, der eine vermeintliche (vielleicht auch stellenweise echte) Verantwortung des Kapital gegenüber dem (Arbeits-)"Volk" ausdrücken sollte. Was aber gerade in dieser Zeit mehr Propaganda als Realität war. Auch wenn die Filme aus der Zeit oft Idylle zeigen, war die Arbeit und das Leben für Arbeiter eher beschwerlich und oft auch nicht sonderlich gesund. Von Verbesserungen konnten diese erst später in den 70'er profitieren. Woraufhin aber die "Kapitaleigner" begannen ihre Produktion dahin zu verlagern, wo die Arbeiter keine Ansprüche stellten und die Politik keine Umweltauflagen machte.

Und diese Verlagerungen waren keine Sachzwänge ode Naturmacht sondern wurden natürlich politisch vorbereitet. Wie sonst wäre ein Kapitalist aus den USA auf die Idee gekommen im kommunistischen China ein Fabrik zu bauen, wenn er nicht genau gewusst hätte hier gibt es Millionen zu verdienen.

In mehr oder weniger regelmässigen Zeiträumen bäumen sich die Folgen der Systemaporien derart auf, dass sie auch durch 'Reformen' nicht mehr eingefangen werden können. Dieser Zustand ist seit der sogenannten Finanzkrise erreicht und wird nun - Novum der Geschichte - durch entgrenzte Geldvermehrung maskiert. Die Spannungen nehmen zu.

Und diese Geldvermehrung ist eine Aporie???
Diese Entwicklung ist das Resulat einer immer machtlosen Politik und einer immer mehr dominierenden Finanzwirtschaft die ihren Einfluss nutzt, um das System immer weiter von ihr Abhängig zu machen. Einem Schuldner steht immer auch ein Gläubiger gegenüber.

Wagenknecht lässt diesen im Wesentlichen notwendigen Gang der kapitalistischen Dinge ausser Acht, tut so - auch mir sind nur Buchexzerpte bekannt, aus denen nichts anderes hervorgeht -, als könnte die erfreulichere Phase mit etwas gutem Willen restauriert werden. Und das ist ganz gewiss nicht der Fall.

Meines erachtens weist sie darauf hin, dass in einer Zeit als andere Regeln galten und die Staaten mehr Finanzpolitische Kontrolle hatten, es für der Allgemeinheit besser ging. Ob dieser Verlust der Macht an das Kapital ein notwendiger war, ist genau der Punkt den sie meiner Meinung anspricht. Du hast dich damit abgefunden, ich sehe auch nicht das es in der Politik nennenswerte Gegenspieler gibt, insofern ist das Buch eher eine Utopie aus der Vergangenheit.

Wir sollten uns darauf konzentrieren und den wahren Führern dieser neuen Welt zu folgen und genau "The great Reset" lesen. Dieser führt uns in eine neue schöne Zeit. Wie es uns auch Wikipedia einimpft: "Die Initiative wurde von Prinz Charles und WEF-Direktor Klaus Schwab im Mai 2020 vorgestellt und zielt auf eine Verbesserung des Kapitalismus ab. Investitionen sollen demnach stärker auf den gegenseitigen Fortschritt ausgerichtet und es soll mehr auf Umweltinitiativen gesetzt werden."
https://de.wikipedia.org/wiki/The_Great_Reset

Applaus, Verbesserungen und Fortschritt wollen wir alle, wer soll gegen soviel Gutes denn noch was sagen?

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