Man muß nicht das ganze Buch gelesen haben, es ist genügend zu den Grundthesen veröffentlicht worden. Das dürfte reichen, denn so weltbewegend und Erkenntnis gewinnend ist das Buch nicht wie schon S.W.s Bücher zuvor. Sie wandelt offensichtlich auf den Spuren von Ulrike Herrmann, soviel Bücher wie möglich auf den Markt zu bringen und nicht viel dabei zu sagen.
Ihre Geschichte vom Lebensglück und Unglück der Arbeiter an den Anfang der Überlegungen zu stellen und zum alleinigen Kriterium zu erheben, ist nicht neu, aber fragwürdig. Die Autorin verweist hier ganz zutreffend auf Brecht, der dies auch in Frage stellte. S.W. negiert die Ursachen für die periodische soziale und zeitlich begrenzte Besserstellung der Arbeiter und damit den Gesamtzusammenhang. Diesen impliziert erkennt man ohne große Mühe, daß dieser Fortschritt nur im Zusammenhang mit der darauf folgenden Kriegspolitik zu sehen ist. Für die Arbeiter waren diese Perioden nur eine Henkersmahlzeit, danach hatten sie sich für die aggressiven Kapitalinteressen zu opfern.
Um diesen Zusammenhang zu eliminieren, bemüht S.W. die angebliche Fürsorgefunktion des Staates, der das zu richten hätte, also den überparteilichen, dem Gemeinwohl dienenden Staat, den es noch zu schaffen gäbe. Bei ihr ist der Staat kein Herrschaftsinstrument des Kapitals, er kann umgemodelt werden. Das wäre wieder mal eine sozialistische Warenwirtschaftsgesellschaft.
In ihrer Erzählung vom „Aufschwung“ in den Nachkriegsjahren schwingt die bürgerliche Propaganda mit, die dem angeblich von Erhard geschaffenen Wohlfahrtsstaat in Ausgleich von Kapital- und Arbeiterinteressen nachtrauert. Sie übernimmt dabei alle Klischees „aus dem Westen“, schließlich ist sie ja jetzt Saarländerin. Ihr wären hier die Betrachtungen von suchenden Leuten, die mit diesen Klischees aufwuchsen, zu empfehlen. (Christoph Weber, https://www.youtube.com/watch?v=DV8DsMmS 5I). S.W. fällt sogar hinter Herrmann zurück, die den Erhard-Mythos gekonnt zerpflückt.
Ihr schlimmstes Vergehen ist jedoch die Ausblendung der Einheit von sozialem und politischen Kampf der Arbeiter, einer wesentlichen Erkenntnis der Geschichte, ohne die auch soziale Ziele nicht auf Dauer erreicht werden können. Genauso verfährt sie mit der Notwendigkeit, diesen Kampf unbedingt auf internationalistischer Grundlage führen zu müssen. Beides mag aktuell nicht angesagt sein, es muß aber immer in die Strategie eingebunden bleiben. Das ist bei S.W. nicht der Fall, ihre bisherigen Aussagen mitgerechnet.
Unter diesen Gesichtspunkten stellen ihre Überlegungen auch nur eine Variante des Revisionismus zu Marx dar und der Kampf um die Deutungshoheit in Der Linken eher den Gegensätzen von Kautsky und Bernstein gleich.
Das Posting wurde vom Benutzer editiert (01.05.2021 11:28).