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  • Raumflieger

432 Beiträge seit 12.08.2024

Die Abwärmeproblematik in verschiedenen Zahlen.

Wir versetzen uns mal gedanklich in die ISS oder in ein Raumschiff. Der künstliche Himmelskörper befindet sich irgendwo im hohen Orbit um die Erde, die Teilchendichte wird größtenteils durch Sonnenwinde definiert. Gase liegen teils ionisiert oder molekular vor, aber nur in geringen Mengen. Also alles in allem ein "Hochvakuum".

Anders als die Popkultur es vielleicht aus Film und Fernsehen kennt, ist das größte Problem im Weltraum nicht die "Kälte". Gäbe es Weltraum-FKK (= nur der Kopf wird geschützt mit einem sauerstoffversorgten Helm), drohen eher Verbrennungen, wenn sie der direkten Sonneneinstrahlung ausgesetzt sind. Im Schatten (z.B. Erde, Mond) dagegen werden sie nicht frieren, denn der Körper verliert Wärme nicht durch Konvektion, sondern ausschließlich über die Wärmestrahlung. Und die ist nicht besonders effizient.

Die ISS bzw. das Raumschiff haben ein ähnliches Problem. Alles an Bord erzeugt Abwärme: Menschen, Elektronik, der Hauptantrieb - einfach alles. Auch die Einstrahlung der Sonne trägt bei zur Erwärmung, was auch der Grund ist, wieso die bevorzugte Farbe eben "weiß" ist im Weltraum. Es braucht also an Bord von solchen Gefährten ein Wärmemanagement, d.h. es muss sorgfältig abgewogen werden, welche Systeme in Betrieb gehen, welche abgeschaltet werden und wie man die überschüssige Wärme effizient loswird. Sonst wird es irgendwann sehr warm.
Weil auch hier nur Wärmestrahlung zum Abtransport der überschüssigen Wärme zur Verfügung steht, müssen entsprechende Radiatoren eingesetzt werden. Die wiederum müssen stets von der Sonne weg ausgerichtet sein, sonst nehmen sie Wärme auf, statt sie abzugeben.

Wem Weltraum-FKK und Thermodynamik im Weltraum zu wild sind, kann aber auch einfach sich eine Thermosflasche vorstellen. Früh morgens, wenn man auf Arbeit fährt, füllt man heißen Kaffee rein. Zur Frühstückspause verbrennt man sich noch den Mund, weil heiß. Am Nachmittag hat der Kaffee immernoch gut Temperatur.
Der Grund, warum das so ist? Die Thermosflasche besteht aus einer Innen- und einer Außenhülle. Die beiden Hüllen sind durch ein Vakuum voneinander getrennt - und das hat halt keine Wärmeleitfähigkeit. Dass trotzdem der Kaffee nicht heiß bleibt, liegt daran, dass die Innenflasche nicht völlig isoliert ist durch das Vakuum, sondern über den Einlass nach außen Verbunden ist. Der größte Wärmeabtransport passiert also über den Verschluss und die Anbindung der Innenflasche an die Außenhülle, so dass das Vakuum lediglich den Wärmeverlust des Kaffees ausbremsen kann.
Thermosflaschen funktionieren auch "rückwärts": man könnte auch eine eiskalte Flüssigkeit im Hochsommer darin transportieren und sie bliebe kalt.

Soweit zu den Grundlagen.

Nun haben wir unsere Erde. Die ist zwar bedeutend größer als Thermosflasche, FKK-Weltraumtouristen und Raumstationen, aber auch hier gilt die gleiche Problematik: die Sonne gibt Energie an die Erde über Strahlung ab, davon stellen sichtbares Licht und Infrarotstrahlung nahezu gleiche Anteile. Ultraviolettes Licht macht nur rund 7% aus.

Q: https://worldoceanreview.com/de/wor-6/die-polargebiete-als-teil-des-globalen-klimasystems/warum-es-in-den-polarregionen-so-kalt-wird/der-waerme-und-strahlungshaushalt-der-erde/

Der Artikel beschäftigt sich hauptsächlich mit dem durch die Atmosphäre verursachten Triebhauseffekt, d.h. nicht alle von der Sonne eingestrahlte Energie wird auch zurück in den Weltraum abgestrahlt, sondern verbleibt auf der Erde und wird auf unterschiedlichen Wegen absorbiert. Spannend finde ich auch den Artikel, weil an keiner Stelle auf CO2-Emissionen eingegangen wird, d.h. der "Greenhouse-Effect" wird hier nicht damit verbunden. Wenn es aber bereits einen natürlichen Treibhauseffekt gibt, dann ist auch CO2 nicht verantwortlich dafür, sondern eben das komplexe System Atmosphäre. Klar, das ergibt auch Sinn: seit Beginn der Industrialisierung ist der CO2-Anteil um rund 70ppm (von 350ppm auf 420ppm) angestiegen, was kaum einen Unterschied macht in der Atmosphärenzusammensetzung und damit auch wenig Einfluss auf den Treibhauseffekt haben kann.

Den größeren Einfluss dürfte dagegen unsere Zivilisationsabwärme haben.

Soooooooooo.

Allein Deutschland hat einen durchschnittlichen Energiebedarf von 70GW allein an elektrischer Energie. Dazu kommen ja noch automobiler Verkehr und Heizungen, die nicht elektrische Energie in Wärme umwandeln, also Holz, Gas, Öl und Kohle. Jede Stunde also mindestens 70GW Leistungsbedarf - und letztendlich damit auch thermische Emissionen. Denn wie wir alle aus dem Physikunterricht wissen, wird bei jedem energiewandelnden Prozess auch immer Wärme freigesetzt. Wenn wir also unsere gesamte Zivilisation betrachten würde, hat die eine Effizienz von 0% - denn am Ende wird ja 100% der aufgewendeten Energie in Wärme umgewandelt. Und die landet eben in der Umwelt und trägt zur Erwärmung bei.

Im Telepolis-Artikel wird das an dieser Stelle deutlich gemacht:

Die Forscher Amedeo Balbi von der Università di Roma Tor Vergata und Manasvi Lingam vom Florida Institute of Technology haben die Folgen eines exponentiellen Wachstums des technologischen Energieverbrauchs modelliert. Ihr Ergebnis: Steigt der Verbrauch jährlich um etwa ein Prozent, könnte die Erde in weniger als 1.000 Jahren unbewohnbar werden.

Abgesehen von der falschen Verwendung des Wortes "Verbrauch" ist die Aussage eindeutig. Wenn unsere Zivilisation jedes Jahr eine Energiebedarfssteigerung von 1% vorweist, entwickelt sich der Bedarf exponential.
Um das mal für die Weltbevölkerung auszurechnen, muss ich wieder zu Google greifen. Ich muss ja nicht alles wissen, sondern nur wissen wo Wissen finden kann.

Google gibt für jeden Menschen auf dem Planeten den Energiebedarf in "Öleinheiten" (ÖE) mit rund 1906 Kg ÖE im Jahr an, allerdings für das Jahr 2014. Eine Öleinheit entspricht wiederum 11,63kWh. Den Jahresbedarf breche ich runter auf eine einzelne Stunde (365,25 x 24) , dann lande ich bei ca. 2,53kW.
Und diese Zahl gebe ich nun einfach mal ein & lass mir ausrechnen, wie es die nächsten 500 Jahre so aussehen wird.

* 2014: 1906ÖE -> 2,53kW pro Kopf * h
* 2114: 5156ÖE -> 6,84kW
* 2214: 13,95kÖE -> 18,50kW
* 2314: 37,72kÖE -> 50,05kW
* 2414: 102,0kÖE -> 136,36kW
* 2514: 366,1kÖE -> 366,11kW

In 350 Jahren haben wir übrigens den hundertfachen Bedarf erreicht: 253kW pro Kopf * h, und zwar genauer im Jahr 2477.

Und weil ja aller Energie über beliebig viele Arbeitsschritte am Ende doch nur in Wärme umgewandelt wird, kann man auch verkürzt sagen: im Jahr 2477 wird die Menschheit rund 253kW pro Kopf & Stunde in Form von Wärme in die Umwelt abgeben. Bringt man noch Mensch und Flächeneinheit in Beziehung und geht von 8 Milliarden Menschen aus, so wird jedem Menschen eine "Mischfläche (Meer, Land)" von etwas mehr als 6,3ha zugeordnet werden (Erdgesamtoberfläche 510M qkm).
Menschliche Wärmeemissionen und Flächeneinheit sind also in Beziehung gebracht. 253kW pro Kopf auf 6,3ha ergeben dann rund 4W pro Quadrameter im Jahr 2477.

4W ist nicht viel - ganz besonders dann nicht, wenn die Sonne das hundertfache auf die gleiche Fläche einstrahlt und bis heute die Erde nicht gegrillt hat. Aber 4W sind eben 4W, die auch erstmal zurückgestrahlt werden müssen, sonst heizen sie langsam aber sicher den Planeten auf.

Packen wir mal nochmal die nächsten 500 Jahre drauf.

* 2614: 746,4kÖE -> 990,27kW
* 2714: 2018,9kÖE -> 2678,5kW (42W/kopf*qm)
* 2814: 6,35MÖE -> 7,24MW
* 2914: 17,18MÖ -> 19,60MW (> 300W/kopf*qm)!
* 3014: 46,46MÖ -> 53,00MW (> 800W/kopf*qm)!!!

Würden wir so weitermachen, haben wir also irgendwann zwischen 2900 und 3000 den Punkt erreicht, an dem ein einzelner Mensch mehr Energie in die Umwelt in Form von Wärme emittiert, als von der Sonne als IR-Strahlung den Erdboden erreicht. Zugleich kann die Erde aber nicht so viel Energie in den Weltraum abgeben, so dass die Differenz dank des in der Quelle beschriebenen Treibhauseffekts in der Atmosphäre erhalten bleibt und dann auch tatsächlich die globale Temperatur unmittelbar durch die Wirkung der menschlichen Zivilisation steigt. Wir kochen uns also selbst.

Jedes Jahr 1% mehr Energiebedarf für die menschliche Zivilisation ist glücklicherweise nicht die nächsten 1000 Jahre realistisch umsetzbar. Denn die Fördermengen an Öl sind beschränkt und noch können wir keine Fusionsenergie nutzbar machen. Kohle- und Kernkraftwerke können auch nicht in beliebiger Zahl aufgestellt werden. Also wird lange vorher Schluss sein. Ich denke auch nicht, dass wir jemals den hundertfachen Energiebedarf erreichen werden und damit 4W Wärme an die Umwelt pro Kopf und Quadratmeter abgeben werden.

Die Exponentialfunktion wird so nicht ewig währen. Wir schauen vermutlich nur auf den exponierenden Anteil einer Wachstumskurve - und die Frage ist nur, WANN wir eine Trendumkehr beobachten werden und langsam aber sicher die Grenze erreicht wird. Sofern wir also nicht im Orbit der Erde mehrere Solarkraftwerke aufstellen oder Fusionsenergie beherrschen oder gar einen Dysonring um die Sonne errichten, wird also irgendwann unweigerlich schluss sein mit der Exponentialfunktion. Und das nicht erst in 400 Jahren, sondern schon lange, lange vorher.

Jetzt kehren wir gedanklich nochmal zurück zum Anfang. Unsere Erde muss fertigwerden mit der Sonneneinstrahlung, aber eben auch mit der vom Menschen gemachten Zivilisationsabwärme. Die liegt heute bei rund 40mW pro Kopf und Quadratmeter - das ist nix. In 100 Jahren sind es zwar bereits 110mW pro Kopf und Quadratmeter, aber auch das ist nix. Irgendwann zwischen 2100 und 2200 dürfte das Maximum erreicht werden, was die menschliche Zivilisation an Pro-Kopf-Energiebedarf erreichen kann, das entspricht im Maximum dem sechsfachen des heutigen Bedarfs. Dann werden wir rund 250mW pro Kopf und Quadratmeter an Wärme abgeben. Aber auch das ist weniger als ein Tausenstel dessen, was die Sonne an Infrarotstrahlung bis auf die Erdoberfäche bringen kann und auch weniger als ein Tausenstel, was laut der o.g. Quelle in der Atmosphäre verbleibt. Zugleich ist aber der Zuwachs an Zivilisationsabwärme größer als die Veränderung des CO2-Anteils in der Atmosphäre - und zwar auch um einen tausendfachen Faktor (ein Plus von 1% entspricht 10.000ppm, der Gesamtzuwachs an CO2 in der Atmosphäre seit Beginn der Industrialisierung ist wie anfangs gezeigt aber 70ppm).

Wie kriegen wir das Thema nun eigentlich in den Griff?
Abgesehen von den natürlichen Wachstumsgrenzen könnte man auch regulatorisch eingreifen und versuchen, den Energiehunger der Menschheit in den Griff zu bekommen. Es hilft auch, verstärkt auf Photovoltaik zu setzen, die Speicherproblematik lösen und damit die von der Sonne zur Verfügung gestellte Energie besser ausnutzen zu können. Das alles ist aber langfristig(st) ausgelegt - Hauruck-Aktionen bringen im Gesamtbild einfach nichts.

Man könnte aber auch durch geeignete Technologien versuchen, die Kette an arbeitenden Prozessen zu verlängern, so dass der Zeitpunkt, ab dem die Energie nicht länger nutzbar als Wärme in die Umwelt abgegeben wird, in die Ferne gerückt wird. Industrieabwärme kann man ja bereits heute nutzen als Fernwärme. Kombinierte Solarthermie/Photovoltaik-Anlagen haben eine bedeutend höhere Effizienz als die Kombination Photovoltaik + Wärmepumpe. Mit Passivhäusern könnte man die Heizungsproblematik in den Griff bekommen. Aber der wichtigste Punkt ist, die Produktivität nicht sinnlos zu verschwenden, sondern viel gezielter Produkte herzustellen und einzusetzen. Werbung braucht keiner, das kann direkt weg. Und solange ein einzelnes KI-Rechenzentrum den Bedarf einer Kleinstadt aufweist, sollten wir damit eben möglicht zielgerichtet und sparsam arbeiten, statt Schülern von ChatGPT die Hausaufgaben lösen zu lassen oder Werbeclips generieren mit diffuser Bildgeneration.

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Disclaimer: für Fehler in Berechnungen und Formeln übernehme ich nur insofern Verantwortung, als dass ich die selber eingebaut habe.

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