So, wie im Film dargestellt kann es einfach nicht gewesen sein.
Soweit es bei dem hanebüchenen, z. Teil gefährlichen Unsinn, der dort
erzählt wurde ("HIV-Medikamente braucht nur der, der Angst vor der
Krankheit hat") überhaupt möglich war, ein paar Fakten dahinter zu
erkennen, muß man annehmen, daß es sich dabei um übliche
Behandlungsmethoden (mit den zu der Zeit verfügbaren Medikamenten,
die nun einmal Nebenwirkungen haben) gehandelt hat.
Man darf doch nicht vergessen, daß diese Kinder eine HIV-Infektion,
d. h. eine unbehandelt i. d. Regel zum Tode führende Krankheit
hatten. Für die freche Behauptung, daß die Kinder an den
Medikamentennebenwirkungen und nicht an AIDS gestorben sind, hat der
Film keinerlei Beweis gebracht. Auch die Kinder, die im Film von der
Behandlung berichten konnten, würden vermutlich ohne die Therapie
heute nicht mehr leben. Daß leiblichen und Pflegeeltern das
Sorgerecht entzogen wird, wenn sie ihre Kinder einer potentiell
lebensrettenden Therapie zu entziehen versuchen, ist doch wohl
nachvollziehbar und hat in den spektakulären Fällen der an Krebs
erkrankten Kinder ("Krebskind Olivia") ja auch allgemeine Zustimmung
gefunden.
Man muß sicherlich auch vermuten, daß im Falle einer kindlichen
HIV-Infektion, die in Europa wie den USA i. d. Regel durch eine
Heroinabhängigkeit der Mutter bedingt ist, die Familienverhältnisse
oft nicht zum besten bestellt waren, so daß eine Heimunterbringung
vielleicht schon aus diesen Gründen veranlaßt worden war.
In der Tat ist es etwas haarig, Medikamentenstudien an Kindern
durchzuführen. Aber ohne Details der jeweiligen Studienkonzeption zu
kennen, was der Film leider auszuführen versäumt hat, kann man nicht
beurteilen, ob diese Studien im Einzelfall nun ethisch vertretbar
waren. Immerhin ermöglicht die Behandlung im Rahmen einer Studie ja
auch, an neue, vielversprechende Medikamente heranzukommen, die noch
nicht endgültig zugelassen und als normale Rezeptierung nicht
verfügbar sind (im verlinkten Begleittext zum Film wird ja gerade
angeprangert, daß den Kindern "die stärksten Medikamente" verabreicht
wurden. Ist doch positiv, könnte man da auch sagen).
Man darf auch nicht vergessen, daß gerade bei HIV die
Aktivistengruppen auf eine schnelle Verfügbarkeit und Zulassung der
Medikamente gedrängt haben, wofür eben solche Studien notwendig sind.
In den Genuß der neuesten Substanzen zu kommen heißt eben in diesen
Fällen leider auch, ein erhöhtes Risiko für Nebenwirkungen zu tragen.
Bei Kindern ist oft das Problem, daß es selbst für bereits
zugelassene Medikamente keine Daten zu Dosierung, Wirkung und
Nebenwirkungen gibt, so daß es schwierig ist, diese von den an
Erwachsenen durchgeführten Untersuchungen zu übertragen. Von daher
könnte man es vielleicht sogar als vorbildlich ansehen, daß dort eine
solche Untersuchung vor der Zulassung durchgeführt wurde.
Zuletzt darf man nicht vergessen, daß in den USA viele überhaupt
keine Krankenversicherung besitzen, was gerade auf Randgruppen, wie
eben Kinder drogenabhängiger Eltern, zutreffen dürfte. Für diese
Menschen bietet die Teilnahme an solchen Studien manchmal die einzige
Möglichkeit, überhaupt eine medizinische Versorgung zu erhalten. Das
ist dann aber mehr ein allgemeines Problem des amerikanischen
Gesundheitswesens.
Diese genannten Punkte sind sicherlich problematisch, aber das heißt
doch nicht, daß diese Studien von vornherein als unethisch eingestuft
werden müssen.
Viele Punkte im Film, die dort als skandalös oder brutal dargestellt
wurden, muß man vermutlich ganz anders interpretieren und werten. So
wurde behauptet, die Krankenhäuser, die die Studien durchführten,
hätten sie sich selber genehmigt. Worum es da wohl ging, waren die
Ethikkommissionen der Kliniken, die diese Studien geprüft haben.
Diese Kommissionen sind zwar den einzelnen Kliniken zugeordnet, aber
dennoch nicht nur aus Mitarbeitern der Einrichtung zusammengesetzt,
sie sind nicht weisungsgebunden und nicht mit denjenigen besetzt, die
direkt mit der in Frage stehenden Forschungsarbeit befaßt sind; ihre
Voten sind öffentlich nachprüfbar. Außerdem sind sie ja nicht die
einzigen Instanzen, insbesondere gibt es für Studien noch eine
behördliche Genehmigungspflicht.
Im weiteren wurde behauptet, daß den Kindern extra für die Gabe der
Studienmedikamente eine Magensonde durch die Bauchdecke gelegt worden
sei. Das kann sogar der Wahrheit entsprechen, immerhin ist die
regelmäßige, vollständige Einnahme der Medikamente äußerst wichtig
für die Wirksamkeit, ob nun im Rahmen einer Studie oder nicht, ist
dabei völlig irrelevant. Es ist aber sicherlich nicht so ein Akt
äußerster Grausamkeit, wie es im Film dargestellt wurde. Es handelt
sich dabei um einen kleinen, ambulant durchführbaren, wenig
komplikationsträchtigen Eingriff. Einmal eingelegt, können diese
Sonden über Jahre liegenbleiben und auch wieder ganz einfach entfernt
werden. Genauso gut möglich ist aber ohnehin, daß diese Sonden, wie
es üblich war, gelegt wurden, um eine AIDS-bedingte Auszehrung durch
zusätzliche, über diese Sonde gegebene kalorienreiche Ernährung
auszugleichen. Die Nebenwirkungen, die dort geschildert wurden, sind
sicherlich oft sehr unangenehm und manchmal auch gefährlich, aber
eben für diese Medikamente nicht ungewöhnlich. Die Abwägung, ob man
sie in Kauf nehmen soll oder der tödlichen Erkrankung ihren Lauf
lassen, ist sicherlich manchmal nicht leicht zu treffen.
Ich will damit nicht behaupten, daß bei den in der Reportage
geschilderten Fällen alles ganz bestimmt mit rechten Dingen
zugegangen ist. Aber ohne mehr Detailkenntnisse, die der Film leider
nicht geliefert hat, läßt sich das kaum beurteilen.
roko schrieb am 12. August 2005 13:46
> Kam Vorgestern in der ARD:
> http://www3.ndr.de/ndrtv_pages_std/0,,OID1635826,00.html
>
> Willkommen in der rassistischen, pardon zivilisierten, Welt!
Soweit es bei dem hanebüchenen, z. Teil gefährlichen Unsinn, der dort
erzählt wurde ("HIV-Medikamente braucht nur der, der Angst vor der
Krankheit hat") überhaupt möglich war, ein paar Fakten dahinter zu
erkennen, muß man annehmen, daß es sich dabei um übliche
Behandlungsmethoden (mit den zu der Zeit verfügbaren Medikamenten,
die nun einmal Nebenwirkungen haben) gehandelt hat.
Man darf doch nicht vergessen, daß diese Kinder eine HIV-Infektion,
d. h. eine unbehandelt i. d. Regel zum Tode führende Krankheit
hatten. Für die freche Behauptung, daß die Kinder an den
Medikamentennebenwirkungen und nicht an AIDS gestorben sind, hat der
Film keinerlei Beweis gebracht. Auch die Kinder, die im Film von der
Behandlung berichten konnten, würden vermutlich ohne die Therapie
heute nicht mehr leben. Daß leiblichen und Pflegeeltern das
Sorgerecht entzogen wird, wenn sie ihre Kinder einer potentiell
lebensrettenden Therapie zu entziehen versuchen, ist doch wohl
nachvollziehbar und hat in den spektakulären Fällen der an Krebs
erkrankten Kinder ("Krebskind Olivia") ja auch allgemeine Zustimmung
gefunden.
Man muß sicherlich auch vermuten, daß im Falle einer kindlichen
HIV-Infektion, die in Europa wie den USA i. d. Regel durch eine
Heroinabhängigkeit der Mutter bedingt ist, die Familienverhältnisse
oft nicht zum besten bestellt waren, so daß eine Heimunterbringung
vielleicht schon aus diesen Gründen veranlaßt worden war.
In der Tat ist es etwas haarig, Medikamentenstudien an Kindern
durchzuführen. Aber ohne Details der jeweiligen Studienkonzeption zu
kennen, was der Film leider auszuführen versäumt hat, kann man nicht
beurteilen, ob diese Studien im Einzelfall nun ethisch vertretbar
waren. Immerhin ermöglicht die Behandlung im Rahmen einer Studie ja
auch, an neue, vielversprechende Medikamente heranzukommen, die noch
nicht endgültig zugelassen und als normale Rezeptierung nicht
verfügbar sind (im verlinkten Begleittext zum Film wird ja gerade
angeprangert, daß den Kindern "die stärksten Medikamente" verabreicht
wurden. Ist doch positiv, könnte man da auch sagen).
Man darf auch nicht vergessen, daß gerade bei HIV die
Aktivistengruppen auf eine schnelle Verfügbarkeit und Zulassung der
Medikamente gedrängt haben, wofür eben solche Studien notwendig sind.
In den Genuß der neuesten Substanzen zu kommen heißt eben in diesen
Fällen leider auch, ein erhöhtes Risiko für Nebenwirkungen zu tragen.
Bei Kindern ist oft das Problem, daß es selbst für bereits
zugelassene Medikamente keine Daten zu Dosierung, Wirkung und
Nebenwirkungen gibt, so daß es schwierig ist, diese von den an
Erwachsenen durchgeführten Untersuchungen zu übertragen. Von daher
könnte man es vielleicht sogar als vorbildlich ansehen, daß dort eine
solche Untersuchung vor der Zulassung durchgeführt wurde.
Zuletzt darf man nicht vergessen, daß in den USA viele überhaupt
keine Krankenversicherung besitzen, was gerade auf Randgruppen, wie
eben Kinder drogenabhängiger Eltern, zutreffen dürfte. Für diese
Menschen bietet die Teilnahme an solchen Studien manchmal die einzige
Möglichkeit, überhaupt eine medizinische Versorgung zu erhalten. Das
ist dann aber mehr ein allgemeines Problem des amerikanischen
Gesundheitswesens.
Diese genannten Punkte sind sicherlich problematisch, aber das heißt
doch nicht, daß diese Studien von vornherein als unethisch eingestuft
werden müssen.
Viele Punkte im Film, die dort als skandalös oder brutal dargestellt
wurden, muß man vermutlich ganz anders interpretieren und werten. So
wurde behauptet, die Krankenhäuser, die die Studien durchführten,
hätten sie sich selber genehmigt. Worum es da wohl ging, waren die
Ethikkommissionen der Kliniken, die diese Studien geprüft haben.
Diese Kommissionen sind zwar den einzelnen Kliniken zugeordnet, aber
dennoch nicht nur aus Mitarbeitern der Einrichtung zusammengesetzt,
sie sind nicht weisungsgebunden und nicht mit denjenigen besetzt, die
direkt mit der in Frage stehenden Forschungsarbeit befaßt sind; ihre
Voten sind öffentlich nachprüfbar. Außerdem sind sie ja nicht die
einzigen Instanzen, insbesondere gibt es für Studien noch eine
behördliche Genehmigungspflicht.
Im weiteren wurde behauptet, daß den Kindern extra für die Gabe der
Studienmedikamente eine Magensonde durch die Bauchdecke gelegt worden
sei. Das kann sogar der Wahrheit entsprechen, immerhin ist die
regelmäßige, vollständige Einnahme der Medikamente äußerst wichtig
für die Wirksamkeit, ob nun im Rahmen einer Studie oder nicht, ist
dabei völlig irrelevant. Es ist aber sicherlich nicht so ein Akt
äußerster Grausamkeit, wie es im Film dargestellt wurde. Es handelt
sich dabei um einen kleinen, ambulant durchführbaren, wenig
komplikationsträchtigen Eingriff. Einmal eingelegt, können diese
Sonden über Jahre liegenbleiben und auch wieder ganz einfach entfernt
werden. Genauso gut möglich ist aber ohnehin, daß diese Sonden, wie
es üblich war, gelegt wurden, um eine AIDS-bedingte Auszehrung durch
zusätzliche, über diese Sonde gegebene kalorienreiche Ernährung
auszugleichen. Die Nebenwirkungen, die dort geschildert wurden, sind
sicherlich oft sehr unangenehm und manchmal auch gefährlich, aber
eben für diese Medikamente nicht ungewöhnlich. Die Abwägung, ob man
sie in Kauf nehmen soll oder der tödlichen Erkrankung ihren Lauf
lassen, ist sicherlich manchmal nicht leicht zu treffen.
Ich will damit nicht behaupten, daß bei den in der Reportage
geschilderten Fällen alles ganz bestimmt mit rechten Dingen
zugegangen ist. Aber ohne mehr Detailkenntnisse, die der Film leider
nicht geliefert hat, läßt sich das kaum beurteilen.
roko schrieb am 12. August 2005 13:46
> Kam Vorgestern in der ARD:
> http://www3.ndr.de/ndrtv_pages_std/0,,OID1635826,00.html
>
> Willkommen in der rassistischen, pardon zivilisierten, Welt!