dass die Putschisten nach 100 Morden an Polizisten und Demonstranten durch Sniper der Opposition
Das ist eine Version der Geschichte. Wer auf wen in wessen Auftrag geschossen hat ist ungeklärt, es gibt Spuren in viele Richtungen und dann aufgrund dieser wackeligen Faktenlage noch Schlussfolgerungen zu ziehen, was "die Opposition" (wer immer das ist) noch gemacht hätte ist haltlose Spekulation.
Was Asarow aus dem russischen Exil ein Jahr später über den angeblichen "Putsch" erzählt ist sicher interessant, aber auch nicht zwangsläufig die Wahrheit. Natürlich haben die Janukowitsch-Kleptokraten ein Interesse daran, ihre Flucht in Hubschraubern voller Geldkoffer etwas dramatischer erscheinen zu lassen als sie es wohl tatsächlich war.
Das Abkommen wurde von Janukowitsch gebrochen, der im Fernsehen seine Verhandlungspartner als "Kriminelle" bezeichnete und es ablehnte, wie vereinbart, die Verfassung von 2004 wieder in Kraft zu setzen.
https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/janukowitschs-sturz-war-kein-putsch-13447563.html
"Blackwater" alias "Academi": Es gab genau einen Bericht über diese angeblichen Söldner, die angeblich auf Informationen des BND basierten. Academi dementierte (was natürlich nicht viel heißt), aber es gab nie irgendeine Bestätigung dafür noch konkrete Angaben über Einsatzorte, Auftraggeber oder Zeugen. Die Wahrscheinlichkeit, dass es sich um eine von russischer Seite gestreute Falschmeldung handelt ist ziemlich hoch. Umgekehrt gibt es für die Anwesenheit russischer Söldner und ihre tragende Rolle in dem "Volksaufstand" im Donbass unzählige unabhängige Berichte und Aussagen (z.B. Girkin) aus erster Hand. Das Janukowitsch mehr als zwei Monate nach seiner Flucht Russland um "Hilfe" ersuchte, könnte man wohl eher als Hochverrat (nämlich als Aufforderung an eine ausländische Macht, das eigene Land anzugreifen) werten, denn als Hinweis, dass er noch der Chef der Exekutive in der Ukraine war.
Wer ist Ludger Volmer in diesem Zusammenhang? Seine Zeit als Staatsminister war 2014 12 Jahre vorbei, seine Zeit als Abgeordneter 9 Jahre. Eine private Meinungsäußerung, die man teilen kann oder auch nicht. Einfach irrelevant. Es gibt gute Gründe daran zu zweifeln, dass es sich bei den Unruhen im Donbass um einen Volksaufstand handelte. Ein Volksaufstand beginnt i.d.R. nicht damit, dass das "Volk" mit Panzern durch die Straßen fährt.
Jazenjuk: Der war z.B. Wahlkampfmanager von Janukowitsch bei der Wahl 2004. Danach war er Wirtschaftsminister, Außenminister und Parlamentspräsident. 2009 trat er erfolglos (besagte 6,6%) bei der Präsidentschaftswahl an und wurde danach Fraktionsvorsitzender der größten Oppositionspartei (25,5%). Ihn auf die erfolglose Präsidentschaftskandidatur zu reduzieren ist lächerlich. Richtig ist, dass seine Wahl 2014 nicht der Verfassung entsprach, da eigentlich der Präsident den Ministerpräsidenten vorschlägt. Der war aber leider schon abgereist und nicht greifbar, das Parlament musste alleine entscheiden. Jazenjuk blieb dann auch unter Poroschenko Ministerpräsidenten, später überwarf er sich mit ihm, wurde aber von der Parlamentsmehrheit im Amt bestätigt, bis er im April 2016 endgültig zurücktrat. Präsident war er nie.
Die Amerikaner haben doch gar kein Hehl daraus gemacht, dass sie Janukowitsch weg haben wollten, genau wie die Hunderttausenden auf den Straßen der Ukraine. Janukowitsch ließ friedliche Demonstrationen mit brutaler Gewalt vom Berkut auseinandertreiben, wollte Demokratie und Meinungsfreiheit einschränken und hatte längst die Mehrheit im Parlament verloren. Putin selbst hat es doch sehr schön auf den Punkt gebracht: juristisch sei Janukowitsch zwar noch Präsident, aber er glaube nicht, dass er noch eine politische Zukunft habe. Moskau musste erkennen, dass man aufs falsche Pferd gesetzt hatte und Janukowitsch nicht mehr zu halten war.
Es gab zwar öfter mal Schlägereien in der Rada, aber bei der Absetzung Janukowitschs nicht. Die war so gut wie einstimmig, seine eigene Partei hatte sich von Janukowitsch abgewandt.
Turtschinov wurde natürlich nicht vom Volk gewählt, dafür war er ja nur "Übergangspräsident" mit dem klaren Mandat, Neuwahlen zu organisieren. Was er dann ja auch tat und danach geräuschlos wieder abtrat. Was wäre denn die Alternative gewesen? Dass Janukowitsch an der Spitze eines russischen Armeeverbandes nach Kiew zurückkehrt, die Demonstranten mit Panzern von der Straße fegt und das Parlament auflöst? Wäre das dann kein Putsch gewesen? Janukowitsch war ein König ohne Land, er hatte die Kontrolle über Polizei, Armee und Geheimdienste verloren und hätte sich seine Macht nur noch mit Hilfe der Russen zurückholen können. Die planten aber mittlerweile ohne ihn.
Zur Menschenrechtslage nach dem Putsch der sogenannten "Separatisten" im Donbass verweise sei auf die Berichte des UN-Menschenrechtsrates, Human Rights Watch und Amnesty verwiesen. Seit 2014 gab es dort nicht nur keine Präsidentschaftswahl, sondern überhaupt keine Abstimmung, die internationalen Standards entsprochen und von der OSZE beobachtet worden wäre. Das waren alles die bei uns aus DDR-Zeiten sattsam bekannten 90%+-Abstimmungen, deren Ergebnis i.d.R. schon vor Schließung der Wahllokale verkündet wurde. Es gab etliche politische Morde an Lokalpolitikern, mit denen sich die Anführer der "Separatisten" auch noch brüsteten.
Zu Mariupol: Das ist ja kein Wunder. Die meisten Einwohner waren geflohen, geblieben bzw. zurückgekehrt sind natürlich nur die, die sich vorstellen können unter den Russen zu leben. Die Russen geben sich wohl tatsächlich einige Mühe, die Stadt wieder aufzubauen, symbolträchtige Wunden wie das zerbombte Theater werden halt mit einem Bauzaun umgeben. Natürlich sind die Menschen erstmal froh, dass für sie der Krieg vorbei ist. Die anderen, die nicht mehr da sind weil sie tot oder geflohen sind kann man ja nicht mehr fragen. Es ändert auch alles nichts daran, dass das Abschneiden einer Großstadt von jeglicher Versorgung um sie militärisch auszuhungern und die Zerstörung von 90% der Wohngebäude ein Kriegsverbrechen ist. Letztlich bauen die Russen nur wieder auf, was sie vorher zerstört haben und geben den Bewohnern ein wenig von der Normalität zurück, die sie ihnen vorher genommen haben.
https://www.bbc.com/news/world-europe-64887890
Für die Menschen im Donbass ist die Annexion vermutlich wirklich ein Fortschritt, wenn auch ein trügerischer. Sie beendet die 8 Jahre lange Unsicherheit zwischen den Fronten eines undurchsichtigen Konflikts, bei dem sie von beiden Seiten nur benutzt werden. Trotzdem ist es unwahrscheinlich, dass der Donbass jemals ein unumstrittener Teil Russlands wird, weil er jetzt in ein Paket mit unzweifelhaft ukrainischen Gebieten wie z.B. Cherson und Saporischschja gewandert ist - es wird dort allenfalls ein neues Nordzypern, eine neue Westbank geben. Ein Gebiet unter russischer Herrschaft, aber kein Teil Russlands.
Das beste wäre, wenn die Ukraine und Russland irgendwann wieder ganz normale Nachbarstaaten sind und ihre Grenze keine Systemgrenze wird, die ein Bekenntnis zur einen oder anderen Seite fordert. Dass Russland den Putinismus überwindet und sich wieder auf den Weg macht eine freie Gesellschaft zu werden, Streit auszuhalten und zu diskutieren, anstatt alle Konflikte durch Gleichschaltung und Verfolgung von "Verrätern" zu lösen. Die Menschenrechte und bürgerliche Freiheiten nicht mehr als "westlich" zu verunglimpft, sondern als Basis des Zusammenlebens anerkennt. Dass die Bewohner des Donbass frei leben können, ohne um ihre Existenz fürchten zu müssen, wenn sie sich für die falsche Seite entscheiden.
https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/ein-krieg-in-der-sackgasse-6908992.html